Vernetzte Wirtschaft: gemeinsam innovativer und erfolgreicher

Wenn die vernetzte Gesellschaft thematisiert wird, darf die Wirtschaft als vitaler Teil der Betrachtungen nicht vergessen werden. Doch was bedeutet „Vernetzung der Wirtschaft“ konkret? Der hier zu beobachtende Paradigmenwechsel der vergangenen Jahre ist eine der stillen, aber bedeutsamen Umwälzungen: Nicht nur „Networking“ und miteinander sprechen ist inzwischen ein allgegenwärtiges Thema, sondern das miteinander Arbeiten im Clusterverbund ist zum Erfolgskonzept für ganze Regionen geworden – branchenübergreifend Innovation schaffen lautet die Devise.

Vernetzung ist Erfolgsfaktor

Die „vernetzte Gesellschaft“ ist in ihren Ausprägungen ebenso vielschichtig wie vielseitig. Und sie ist prägender Bestandteil von Erfolg: Erst die Kooperation ermöglicht ein Funktionieren von gesellschaftlichen Systemen, sei es das gemeinsame Organisieren eines Straßenfestes in der Nachbarschaft, die gemeinsame Planung einer Gartenanlage, das gemeinsame Erledigen von Schulaufgaben oder das Zusammenspiel im Mannschaftssport. Gemeinsam erzielt man schneller größere Erfolge als im Alleingang, so die dahinter stehende Erkenntnis.

Kooperation mit Argwohn

Für Wirtschaftseinheiten galt dieser Ansatz über lange Zeit erstaunlicherweise nicht: Die Kooperation mit anderen Unternehmen wurde oft genug gescheut – immer mit der Befürchtung, dass ein Partner außerhalb des eigenen Unternehmens ein potenzieller Konkurrent ist, wenn er erst einmal weiß, wie man selbst arbeitet.
Der Gedanke der Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg ist in der Wirtschaftsgeschichte eher zaghaft gesprossen: Mit dem Aufkommen der ersten Joint Ventures wurden zum Beispiel in den späten 1920-er und frühen 1930-er Jahren gemeinsame Aktivitäten zwischen amerikanischen und europäischen Unternehmen ermöglicht. Die Kooperation im Joint Venture ist jedoch meist Ergebnis der aktiven und eher mühsamen Suche nach Partnern: Voraussetzung ist immer ein konkreter Plan eines der Unternehmen, zu dem selbst ein passender Partner gesucht werden muss – eine bisweilen mühsame und fruchtlose Anstrengung.

Vernetzung ist Umsatzbooster

Das änderte sich erst seit Mitte der 1990-er Jahre: Seit dieser Zeit wird in und auch außerhalb Deutschland die Vernetzung von Unternehmen zum Zweck der Clusterbildung aktiv gefördert. Denn der Nutzen dieser Vernetzung liegt messbar auf der Hand: So belegte die Europäische Benchmarkingstudie aus dem EU-Projekt „IMP³rove“, dass stark vernetzte Unternehmen rund 25 Prozent ihres Umsatzes aus Produkt- und Dienstleistungsinnovationen beziehen können, die jünger als drei Jahre sind. Bei weniger stark vernetzten Unternehmen sind es gerade einmal zehn Prozent.
Noch deutlicher wird das Potenzial starker Vernetzung im Umsatzzuwachs: Stark vernetzte Unternehmen schafften laut dieser Studie in vier Jahren einen durchschnittlichen Zuwachs von 7,1 Prozent, während es weniger stark Vernetzte auf gerade einmal 3,2 Prozent und damit zu deutlich weniger Wachstum brachten.

Beispiel Schwarzwald-Baar-Heuberg

Thomas Wolf ist unter anderem Geschäftsführer des Technologieverbundes TechnologyMountains e.V.

Wachstum und Innovation sind demnach Aspekte, die durch die Vernetzung von Unternehmen markant begünstigt werden. Diese Erkenntnis hat auch die Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg im Jahr 2005 dazu bewogen, etwas zu unternehmen. Denn die wirtschaftliche Lage war in jener Zeit in der Region zwischen Stuttgart und Bodensee nur teilweise gut: Die drei zur IHK gehörenden Landkreise waren in ihrer Wirtschaftsleistung höchst unterschiedlich, vor allem der Schwarzwald-Baar-Kreis (Villingen-Schwenningen) lag im Landesvergleich unter dem Durchschnitt und wies eine leicht rückläufige Wirtschaftsleistung auf – Nachholbedarf in der strukturellen Entwicklung für mehr Innovationskraft war die Ursache hierfür.

In den ebenfalls zur IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg gehörenden Landkreisen Rottweil und Tuttlingen sah die Lage besser aus: Mit überdurchschnittlichem Wachstum profitierten diese von den dort traditionell starken und zahlenmäßig stark vertretenen Branchen Zerspanungs- und Medizintechnik.

Auch auf Anfragen hin legte die IHK seinerzeit gemeinsam mit 23 Unternehmen und Institutionen das „MicroMountains Network e.V.“ auf: Ziel dieser ersten Clusterintiative war die Schaffung von Impulsen für die Wirtschaft durch die Ermöglichung von Technologietransfer, von Hightech-Gründungen und durch die Stärkung bei der Fachkräftegewinnung. Die Gründungsmitglieder rekrutierten sich aus den Branchen Medizin-, Mikrosystem-, Kunststoff-, Elektro- sowie Informations- und Messtechnik, vereinten also eine durchaus heterogene Unternehmenslandschaft unter der Geschäftsführung der IHK.

Verhaltener Einstieg

Diese erste Clusterinitiative in der Region hatte aber mit einem grundlegenden Konstruktionsfehler zu kämpfen: So gelang es nicht im gewünschten Ausmaß, Synergien oder sogar dauerhafte Kooperationen zwischen den Beteiligten zu initiieren, schlicht weil die IHK als Mittler bei der Suche nach Kooperationspartnern nicht auf dem Radar der Unternehmen erschien. Zwar wurde mit gewissem Erfolg für technische Berufe geworben und einige Hightech-Gründungen angeschoben, doch das Zusammenbringen von Unternehmen für gemeinsame Projekte blieb hinter den Erwartungen zurück.
So fand dann auch eine eher verhaltene Mitgliederentwicklung statt – bis 2012, also sieben Jahre nach der Gründung, waren erst 17 weitere Mitglieder zum MicroMountains Network dazu gestoßen. Problematisch war auch der Ansatz, Dienstleistungsangebote aus der Führung der Clusterinitiative heraus zu entwickeln, ohne einen Bedarf dafür in den Reihen der Mitglieder identifiziert zu haben. Die Folge war eine geringe Akzeptanz dieser Angebote. Schließlich mangelte es der Clusterinitiative auch an den notwendigen Mitteln, um tatsächlich Effekte erzielen zu können – es war schlicht kein Geschäftsmodell vorhanden, das für tragfähige Umsätze gesorgt hätte.

Durchstarten mit klarem Ansatz

Einen grundlegenden Wandel schaffte das noch eher kleine MicroMountains Network mit der Erkenntnis, dass es etwas mehr braucht als lediglich den Willen, Vernetzung von Unternehmen voranzutreiben: Denn erfolgreich vernetzt zu sein heißt nicht nur, mit anderen Unternehmen vernetzt zu sein – es bedeutet auch, mit anderen Technologien und Branchen vernetzt zu sein. Kernkompetenz einer Clusterinitiative ist das Zusammenführen von unterschiedlichen Branchen unter einem Dach mit dem Ziel, Kommunikation über die Branchengrenzen hinweg zu fördern – die Idee des „Cross-Clustering“ bildet auch die Erfolgsformel, aus der heraus sich das „MicroMountains Network“ zur Cross-Cluster-Initiative „TechnologyMountains“ verwandelt hat.

Die drei im Ursprungscluster enthaltenen Hauptkompetenzfelder wurden jeweils einer eigenen Organisation zugeordnet, die TechnologyMountains angehört: Für die Medizintechnik bildete sich das neue Cluster MedicalMountains, für die Mikrotechnik steht im Verbund nun die Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V. und bei der Kunststofftechnik ist das Kunststoff-Institut Südwest die zentrale Anlaufstelle. Durch die Vernetzung dieser drei Spartenorganisationen in der Cross-Clusterinitiative TechnologyMountains entstehen gleich mehrere Nutzen für die Wirtschaft: So ist TechnologyMountains für die genannten Gebiete immer der geeignete Ansprechpartner – Unternehmen auf der Suche nach einem Projektpartner finden bei der Clusterinitiative immer einen Ansprechpartner, der sie an die richtige Stelle innerhalb des Mitgliederkreises lotsen kann. Und dieser Kreis ist seit der Neuausrichtung der Clusterinitiative rasant gewachsen: Seit 2012 stehen mit mehr als 280 Mitgliedern gut siebenmal so viele Unternehmen und Institutionen auf der Mitgliederliste.

Dieser Erfolg hängt unter anderem mit der konsequenten „bottom-up-Strategie“ bei der Entwicklung von Dienstleistungen zusammen: Nur was tatsächlich im Alltag praktischer Bedarf ist, wird auch als Service in Form von Weiterbildungen, Informationsveranstaltungen und anderen Formaten angeboten – und das zu marktfähigen Preisen, die es den Clustern erlauben, unabhängig von einer staatlichen Förderung zu arbeiten.

Technische Antworten auf viele Herausforderungen

Der Boom der Cross-Clusterinitiative mit ihren drei Kernclustern begründet sich aber auch in der zunehmenden technologischen Konvergenz, deren Fragestellungen durch die Branchen-übergreifenden Kooperationen über die ganze vertretene technische Breite in immer mehr Entwicklungsprojekten schnell und praxisgerecht beantwortet werden können.
Gelungene Beispiele solcher Projekte finden sich etliche. So entstand zum Beispiel im Verbundprojekt Hycoplast eine hybride Kunststoffbeschichtung, die in der Medizintechnik dazu beiträgt, Displays fugenlos in Geräte integrieren zu können, um sie dadurch hygienisch einwandfrei zu machen. Mitgewirkt hatten an dieser Beschichtung aus einem kratzfesten Lack und einer anorganischen Schicht zwei Unternehmen und zwei Institute aus Kunststofftechnik und Medizintechnik. Eine Kooperation aus Medizin- und Mikrotechnik brachte die Innovation „TrAntMed“ hervor: Mit Hilfe von Transponder-Antennen auf Keramikbasis und eines Erfassungssystems mit neuartiger Signalverarbeitung soll künftig der Status chirurgischer Instrumente leicht erfasst werden können. Damit lässt sich etwa ganz einfach die Frage beantworten, ob ein Instrument bereits sterilisiert wurde, ob es sich um ein Originalinstrument handelt oder ob vom Patienten nach einem Eingriff alle Instrumente entfernt worden sind.

Ein Verbundprojekt über die Bereiche Medizin-, Mikro- und Kunststofftechnik hinweg beschäftigt sich unter dem Titel „CleanMed“ mit der markanten Niveausteigerung technischer Sauberkeit, Reinigungsfähigkeit, Sterilisierbarkeit und sauberer Handhabung. An dieser Aufgabe, die sich mit dem kompletten Lebenszyklus von Produkten beschäftigt, beteiligen sich neben den drei Kernclustern sowohl Entwicklungsdienstleister als auch Hersteller von Reinigungsanlagen und Reinigungsmitteln. Zudem werden Dienstleister für Reinigungsverfahren beteiligt.

Erst Vernetzung macht’s möglich

Ein solches Mammutprojekt zugunsten des technischen Fortschritts in der Medizin wäre für ein Unternehmen alleine nicht zu bewältigen – wegen fehlenden Know-hows aus unterschiedlichsten Sparten, wegen fehlender Expertise in Nischenbereichen und aufgrund der immensen Kosten. All diese Punkte verteilen sich bei solchen Entwicklungsprojekt jedoch auf die unterschiedlichsten Schultern – Vernetzung mit großer Innovation und vielseitigem Erkenntnisgewinn, die dazu führt, dass alle Beteiligten profitieren.

Weitere Informationen unter:
www.technologymountains.de

Über den Autor:
  • Thomas Wolf (Jahrgang 1977, Diplom-Informatiker)
  • Mitglied der Geschäftsleitung und Geschäftsbereichsleiter „Innovation | Energie | Umwelt | International | Unternehmensförderung“ der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg
  • Geschäftsführer des Technologieverbundes TechnologyMountains e.V.
  • Regionaler Cluster Kontakt (RCK) des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg.