von Johann Bödecker, CEO und Mitbegründer der Pentatonic GmbH, Berlin und London.

Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Modethema von KlimaaktivistInnen und KapitalismuskritikerInnen. Die Gesetzgeber in den großen Industrienationen zwingen die Unternehmen zunehmend, wenn auch mit unterschiedlichem Tempo, ihre Produkte und Prozesse nachhaltiger zu gestalten. Nur Unternehmen, die die Herausforderung Nachhaltigkeit als wirtschaftliche Chance betrachten und die Initiative ergreifen, werden nachhaltig erfolgreich bleiben. Und richtig verstanden ist Nachhaltigkeit auch die Basis für eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen.

Konsumverzicht ist nicht die Lösung

In den öffentlichen Debatten wird das Nachhaltigkeitsthema zu oft auf den Klimawandel und den CO2-Ausstoss reduziert. Immer wieder wird uns suggeriert, der einzige Lösungsweg liege darin, dass die Menschen in den Industrieländern ihren Konsum drastisch herunterschrauben.

Doch zum einen geht nicht nur um den CO²-Ausstoß. Wenn wir nachhaltig wirtschaften wollen, müssen wir uns gleichermaßen den Problemen der begrenzten Ressourcen, den Problemen der Umweltverschmutzung, der Zerstörung unserer Trinkwasserversorgung und dem Kampf gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen stellen.

Ich habe große Vorbehalte gegen scheinbar einfache und angeblich alternativlose Lösungen für höchst komplexe Probleme. Der Wunsch, Dinge zu besitzen, zu konsumieren, etwas zu essen, was einem schmeckt, andere Länder zu bereisen, ist nicht an und für sich schon schädlich oder unmoralisch. Er ist zutiefst menschlich. Aber mein gewichtigeres Argument ist, dass wir den Kampf gegen Klimawandel, Umweltzerstörung und Armut schon von Anfang an verloren haben, wenn wir auf Konsumverzicht hoffen.

Kaum ein Mensch in den Industrieländern möchte auf ein gutes Leben verzichten. Und die PolitikerInnen in den westlichen Demokratien werden ihre Wähler und Wählerinnen auch nicht zu substantiellen Verzichten zwingen, weil sie mit derartigen Vorhaben nicht gewählt werden. Schon die vage Idee eines wöchentlichen „Veggie-Days“ der Grünen im Bundestagswahlprogramm 2013 führte zu einem medialen Aufschrei und trug wesentlich dazu bei, dass die Grünen in der Bundestagswahl 2013 über 20% ihrer Stimmen einbüßten.

Die Menschen in den westlichen Industrieländern wollen nicht verzichten, und die Menschen in Indien, China, Südostasien, in Südamerika und in Afrika sind verständlicherweise nicht bereit, ihren Traum preiszugeben, ihren Lebens-standard eines Tages dem unseren wenigstens anzunähern. Können und dürfen wir im Westen in postkolonialer Arroganz diesen Menschen den Verzicht predigen, den wir selbst nicht zu leisten bereit sind?

Ohne freiwilliges Mitwirken der Betroffenen wird eine substanzielle Reduktion des Konsums aber nicht zu verwirklichen sein. Ein erzwungener Konsum-verzicht auf breiter Basis würde nicht nur zu Gewaltexzessen auf den Straßen führen, sondern auch zu einem wirtschaftlichen Desaster werden:

Die Welt hat Jahrzehnte gebraucht, um zu erkennen, dass wir mit Vollgas in eine ökologische Sackgasse fahren – die Lösungsansätze stecken aber noch am Anfang, und es werden ungeheure Investitionen in Forschung und Entwicklung erforderlich werden, um große Volkswirtschaften auf Nachhaltigkeit umstellen zu können.

Über den Autor

Johann Bödecker ist der Geschäftsführer und Gründer von Pentatonic, einer führenden Plattform für Klima-Technologie und Kreislaufwirtschaft. Seit 2019 hat Pentatonic die Kreislaufwirtschaft von der Theorie in eine greifbare und rentable Realität für die weltweit größten Verbrauchermarken verwandelt, unterstützt durch technologiegestützte Supply-Chain- und Produktionsmaßnahmen. Johann hat mehrere Publikationen (Bücher und Artikel) über die Kreislaufwirtschaft und deren Beziehung zum Klimawandel verfasst. Zuvor arbeitete Johann mit herstellenden Betrieben in Taiwan und China in den Lieferketten grosser westlicher Marken.

Wo sollen die Investitionsmittel herkommen, wenn die Volkswirtschaften ihre Menschen zu massivem Einbremsen zwingen würden? Und wie sollte ein substantieller Konsumverzicht praktisch aussehen? Selbst in milden Wintern verursacht das Beheizen von Gebäuden sowie die Warmwasserbereitung in Deutschland fast ein Fünftel der CO2-Emissionen, rund 150 Millionen Tonnen. Einfach abschalten? Bei Wintertemperaturen, die auch unter -10° C fallen können?

Massive Konsumreduktion – die erzwungen werden müsste – würde wirken, als schlage man eine Eisenstange in die Speichen eines schnell fahrenden Fahrrads. Massive Arbeitslosigkeit wäre die erste und nur eine Folge. Unser gesellschaftlicher Konsens würde zerbrechen und gewaltsame Ausschreitungen würden unser Zusammenleben bestimmen. Schon jetzt lassen uns der Klimawandel und seine globalen Folgen wie Flucht und kriegerische Konflikte um Ressourcen immer weniger Zeit für einen gemeinverträglichen Strukturwandel.

Erzwungene radikale Konsumbeschränkung ist keine Lösung. Die aufgeheizte Debatte um das Heizungsgesetz ist nur ein zarter Vorgeschmack der Auseinandersetzungen, die wir dann zu erwarten hätten. Es gibt wirksamere Optionen, um zeitnah für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. Wenn wir es denn richtig anpacken …

Nachhaltigkeit richtig angehen- am Beispiel Plastik

Unsere Vorstellung von Nachhaltigkeit wird geprägt von suggestiven, emotional aufgeladenen Bildern, wie dem einer bedauernswerten Schildkröte, aus deren Nase ein Plastiktrinkhalm ragt. Es ist notwendig, dass wir uns die fundamentalen Fehler, die wir mit unserer Lebensart machen, klar vor Augen führen. Die Einsicht muss unter die Haut gehen.

Doch halbherzige punktuelle Verbote hier und da helfen nicht. Sehen wir uns Deutschland an, das ja für sich eine Vorbildrolle im Recycling reklamiert: Das Verbot von Plastiktrinkhalmen macht ein gutes Gewissen, verpufft aber weitgehend wirkungslos. Von 5,2 Millionen Tonnen Plastikabfall im Hausmüll jährlich werden zwei Drittel verbrannt. 15% werden ins Ausland verschifft und landen dort auf Deponien oder in der Verbrennung. Tatsächlich werden in Deutschland nur 15,6% oder 0,81 Millionen Tonnen zu recycelten Rohstoffen.[1] Doch Staaten, die bisher unseren Müll ins Land gelassen haben, werden wach. Die ersten, allen voran China, haben bereits begonnen, den Müllimport zu erschweren. Es ist eine Frage der Zeit, bis wir das Problem unserer Müllberge ganz allein für uns bewältigen müssen.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die weltweite Plastikproduktion ungefähr verdoppelt, von 200 Mill. Tonnen auf 391 Mill. Tonnen 2019.[2]

Nicht vom Konsum zum Verzicht, sondern von der Ressourcen-verschwendung zum Kreislauf

Wenn wir wirksam reagieren wollen, brauchen wir eine kopernikanische Wende in unserem Wirtschaftssystem und in unserer Gesetzgebung. Allerdings nicht vom Konsum zum Verzicht, sondern von der Ressourcenverschwendung zum Kreislauf. Dieser Paradigmenwechsel kann funktionieren, weil Nachhaltigkeit ökonomisch Sinn macht und weil er den Menschen am wenigsten Verzicht abverlangen würde. Warum ist das so?

Die Natur macht es vor

Ein Beispiel: Chitin. Chitin ist ein Polysaccharid, das weltweit zweithäufigste nach Zellulose. Aus Chitin bestehen etwa Krebspanzer oder die Außenskelette von Insekten – und es ähnelt strukturell Polymeren, also Plastik. Die Biosphäre recycelt im Jahr etwa 11 Gigatonnen (=11 Milliarden Tonnen) davon. Zum Vergleich: Die Menge an Plastik, die die Menschheit bis heute insgesamt produziert hat, beträgt etwa 8,3 Gigatonnen, doch davon sind drei Viertel zu Müll geworden, annähernd fünf Gigatonnen sind auf Müllkippen oder in den Ozeanen gelandet.[3] Dort bleiben sie, weil sie nicht verrotten. Oder denken Sie an die unzähligen Masken, die während der Corona-Pandemie achtlos im Rinnstein gelandet sind. Das ist vollkommen unsinnig. Filter, Schaumstoffe und zahlreiche Verpackungen lassen sich aus wirklich kompostierbaren Materialien herstellen, zum Beispiel basierend auf Chitin, Lignin oder synthetischen Alternativen. Das ist nur ein Ausschnitt der möglichen Anwendungen, die sich aus der Orientierung an Materialkreisläufen ergeben, die uns die Natur an die Hand gibt.

Wenn wir Materialien so zirkulieren, wie die Natur es tut ist noch viel Luft nach oben, was unseren Konsum angeht.

Kreislaufwirtschaft und Wohlstand

Fast drei Viertel der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen entstehen durch das Extrahieren, Transportieren, und Transformieren von Materialien.[4]  Dafür verbrauchen wir den größten Teil unserer Energien.

Diese Zahl zeigt das enorme Potential der Kreislaufwirtschaft. Materialien möglichst energieeffizient im Umlauf zu halten ist die Lösung, die uns die Natur vorlebt und die unsere Lebensgrundlage sichert. Die Materialforschung hat in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte in Richtung nachhaltiger Materialien gemacht.

Aber wir brauchen auch politische Entscheidungen für Rahmenbedingungen, die Langfristigkeit fördern, die also Unternehmen die Sicherheit bieten, dass es sich lohnt, in intelligente und nachhaltige Lösungen zu investieren.

Auch müssen die Konsumenten dafür gewonnen werden, nachhaltige Produkte zu honorieren. Studien belegen die Bereitschaft der Menschen, sich nachhaltigen Produkten zuzuwenden, aber allzu oft entscheidet an der Kasse endlich doch der Preis allein. Positives Beispiel dagegen ist der Erfolg von Toyota, der sich nicht zuletzt mit seinen Hybrid- und Elektroautos an der Volkswagen-Gruppe vorbei zur größten PKW-Marke weltweit hochgearbeitet hat. Auch in anderen Branchen setzt spürbar ein Umdenken ein.

Konsequente Kreislaufwirtschaft ist der Paradigmenwechsel, mit dem unsere Industrie im Wettbewerb wieder aufholen und gleichzeitig für eine lebenswerte Zukunft und Wohlstand sorgen kann. Unternehmen könnten sich von einem Teil der immensen Kosten entlasten, die bei der Gewinnung und Verarbeitung von Rohmaterialien entstehen. Kreislaufwirtschaft macht sie auch resilienter gegen Disruptionen in Lieferketten. Wenn Unternehmen ihre Materialien im Umlauf halten, können sie auf bessere Materialien setzen, die Produktqualität verbessern, sogar die Kunden mit opulenteren Verpackungen ansprechen. Unternehmen, die auf kreislaufwirtschaftliche Prozesse und Produkte setzen, sind autarker und können mit mehr Nachhaltigkeit eine höhere Kundenbindung erreichen. Mit Nachhaltigkeit sorgen sie für intelligentes Wachstum und mehr globale Stabilität.

Der Weg zur Nachhaltigkeit ist vorgezeichnet. Doch derzeit wird traditionelles Wirtschaften und die Verschwendung von Ressourcen noch im Wettbewerb bevorteilt. Ohne die Gesetzgeber bleibt Umweltpolitik ein Mikado-Spiel – wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Zukunftsfähige Materialien sind entweder kompostierbar oder werden recycelt. Entsorgung muss auf das unvermeidbare Mindestmaß beschränkt werden, und dieses Mindestmaß ist regelmäßig auf dem neuesten technischen Stand zu aktualisieren.

Buchtipp

Circular Economy. 7. Industrielle Revolution: Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit durch Kreislaufwirtschaft.

Bödecker ist mit Wolfgang Lehmacher Autor des im Juli erschienen Buches

Springer Gabler, Berlin, 2023.

Quellen:

https://www.spiegel.de/wirtschaft/plastikmuell-die-usa-sind-der-groesste-verursacher-weltweit-a-bf9e42c3-c11e-4619-a0ff-a29b4e3e8da5
[1] Zahlen von 2017 aus dem Plastikatlas, 6. Auflage, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, August 2021, https://www.boell.de/de/plastikatlas
[2] https://www.oecd.org/environment/plastic-pollution-is-growing-relentlessly-as-waste-management-and-recycling-fall-short.htm
[3] https://www.sciencedaily.com/releases/2017/07/170719140939.htm)
[4] https://www.circularity-gap.world/2021)

Zum Unternehmen:

Pentatonic entwickelt für internationale Unternehmen, auch aus dem Kreis der Fortune Global 500, Strategien, zirkuläre Materialien und Warenkreisläufe, mit denen die Unternehmen die zunehmend strengeren Nachhaltigkeitsverpflichtungen erfüllen können.

CC BY-ND 4.0 DE

 

 

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