„Wir brauchen eine ganzheitliche Smart-City-Strategie“

Dr. Bernhard Kirchmair setzt als CDO bei Vinci Energies Projekte im Bereich der digitalen Transformation um und erschließt daraus auch ganz neue Anwendungsmöglichkeiten für seine Kunden.

Die Smart City steht für eine Vision. Es geht um  den Lebensraum der Menschheit in Zukunft. Aber auch um ganz konkrete Fragestellungen zum Beispiel um digitale Geschäftsmodelle im urbanen Raum und die Frage, wem die dadurch entstehenden Daten gehören sollten. Wir haben mit Dr. Bernhard Kirchmair, CDO von VINCI Energies für DACH und Osteuropa gesprochen und im folgenden Städten und Gemeinden durch einen Fragenkatalog einen Guide für die digitale Transformation im urbanen Raum geschaffen.

Herr Kirchmair, wie können unsere Städte wirklich smart werden?
Damit unsere Städte smart werden, ist eine ganzheitliche Smart-City-Strategie erforderlich, die sich am individuellen Bedarf orientiert. Dabei sind die Herausforderungen konzeptioneller, ökonomischer, sozialer und technologischer Natur, zu denen die jeweiligen Akteure ihren Beitrag leisten müssen. Angefangen bei den Entscheidungsstrukturen auf kommunaler Ebene, die teilweise noch nicht ausreichend übergreifend und interdisziplinär angelegt sind. Auf der anderen Seite stehen die deutschen Unternehmen, die zwar ideenstark sind, aber mithin noch zu zögerlich agieren. Das Know-how, Technologien wie KI, Cloud und Blockchain, die Finanzierungsmittel genauso wie die Absatzmärkte sind ja vorhanden. Was es braucht, sind agilere Strukturen der Kooperation in Form von digitalen Ökosystemen.

Städte sind keine homogenen Gebilde und können – anders als zum Beispiel Industrieparks – nicht „einfach“ umgestaltet werden. Wie helfen Sie Verwaltungen, Industriebetreibern und anderen Akteuren in der Stadt, die notwendigen Schritte anzugehen? Und wie können Interessen gebündelt werden?
Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Vielmehr lässt sich die vorhandene Infrastruktur heranziehen, um sie smart zu machen. Nehmen Sie die rund zehn Millionen Straßenlaternen in Deutschland. Diese lassen sich sehr leicht umrüsten, um sie als Basisstation für Smart-City- und Smart-Mobility-Konzepte zu nutzen – beispielsweise als Ladestation für Elektroautos und zugleich zur Verkehrsflussmessung oder für Open WIFI. Auch die Gebäude können zum Beispiel durch moderne Steuerungssoftware mit KI bei der Gebäudetechnik smart werden. Das eine ist also die Erkenntnis: auf Vorhandenes zurückzugreifen und neu zu denken. Um das zu realisieren, stehen wir im engen Kontakt mit Städten und Kommunen und aktivieren parallel dazu unser digitales Ökosystem. Hier arbeiten wir interdisziplinär mit anderen Unternehmen und Startups an zukunftsweisenden Lösungen.

Inwieweit konnten Sie das Thema Nachhaltigkeit in Ihrer Unternehmenskultur verankern und wie setzen Sie das Thema in Ihren Projekten um?
Bei VINCI Energies und im gesamten Konzernnetzwerk engagieren wir uns seit vielen Jahren aktiv für mehr Nachhaltigkeit. So haben wir uns das Ziel gesetzt, den CO2– Fußabdruck bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren und bis 2050 vollständig klimaneutral zu sein. Dazu haben wir eine ganze Reihe an internen Maßnahmen in Gang gesetzt. So nutzen wir beispielsweise ein Monitoring, um unseren Energieverbrauch genau zu erfassen. Derzeit erarbeiten zwei Gruppen eines von uns initiierten CO2-Hackathons digitale Plattformen dafür. Daneben beziehen wir an unseren Standorten Ökostrom, optimieren interne Prozesse, indem etwa Fahrten mit dem Auto vermieden werden, und setzen auf das große Engagement unserer Mitarbeitenden. An unserem VINCI Umwelttag geben wir ihnen dazu zusätzliche Tipps. Die Themen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sind auch in unseren Kundenprojekten elementare Faktoren und dort fest verankert. Daher haben wir auch den VINCI Umweltpreis ins Leben gerufen, mit dem wir besonders innovative und spannende Projekte auszeichnen.

In welchem Kontext steht dabei die digitale Transformation?
Ohne die digitale Transformation sind weder die Energiewende noch ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen möglich. Digitale Technologien dienen etwa dazu, Energieverbräuche genau zu messen und durch KI automatisch einordnen und optimieren zu können. Das gilt nicht nur für das Energiemonitoring bei Gebäuden oder Industrieanlagen. Auch Umspannwerke und Trafostationen müssen für die zukünftig volatile Versorgung durch grünen Strom smart umgerüstet werden, um Verbräuche besser zu prognostizieren und ihre Leistung dezentral zu regulieren. Zur Optimierung ihres Verbrauchs setzt die Industrie schon länger auf Technologien wie die Cloud oder Data Analytics. Aber auch Wartungsarbeiten lassen sich hier etwa durch Remote Expert Services aus der Ferne durchführen – das spart Anfahrtswege und damit CO2.

Mit welchen Aktionen gehen Sie voran?
Wir haben mit dem Unternehmensbereich VINCI Energies Digital eine eigene Digitaleinheit, die die digitale Transformation konzernübergreifend vorantreibt und koordiniert. Im letzten Jahr wurde diese auch als eine der Top-3 Innovation Units in Deutschland ausgezeichnet. Sie umfasst ein breites Portfolio aus Startup-Programmen, Projekten zur Nutzbarmachung von künstlicher Intelligenz, Weiterbildungs- und Intrapreneurship-Programmen sowie ein eigenes Themen- und Ideenportal. Einzigartig in Deutschland ist unsere Digitalschmiede. Eine Projektwerkstatt, in der etwa Kunden Prototypen entwickeln können und regelmäßig Speed Datings mit Startups veranstaltet werden. All das sind wichtige Bausteine unseres digitalen Ökosystems, über das wir symbiotisch mit Partnern zusammenarbeiten, um durchgehend zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.



Wie können Ihrer Meinung nach die neuen Technologien rund um KI, Blockchain und IoT die Städte resilienter und zukunftsfähiger machen?
Die genannten Technologien und weitere mehr bieten viele verschiedenen Möglichkeiten, um Städte resilienter und zukunftsfähiger zu machen. Von Verbrauchsanalysen und -prognosen zum Energiebedarf über effizientere Verkehrsplanung und das Parkraummanagement bis hin zu digitalen Bürgerservices. Vor allem im Verbund spielen sie ihr volles Potenzial aus. Werden beispielsweise Straßenlaternen mit moderner Messsensorik aufgerüstet und über das IoT vernetzt, lassen sich die so erhobenen Daten mittels KI analysieren, um Verkehrsflüsse deutlich nachhaltiger zu steuern. Die Blockchain-Technologie kann hochsensible personenbezogene Daten schützen, um Behördengänge sicher über das Internet zu ermöglichen. Solche und andere Smart-City-Lösungen erleichtern unser Leben, machen Fahrten überflüssig oder verhindern Stau und verringern so den CO2-Ausstoß.

Was verstehen Sie unter dem Begriff Smart Country? Inwieweit können Ihre Konzepte Kommunen und Gemeinden helfen, den Infrastrukturausbau und die Attraktivität von ländlichen Räumen zu steigern?
Digitale Technologien dürfen sich nicht auf unsere Städte beschränkten. Sie müssen auch den ländlichen Raum miteinbeziehen, damit aus Smart Cities Smart Countries werden. Das hängt sehr vom Ausbau der Infrastruktur ab, gerade was den Breitbandausbau betrifft. Hier ist die Politik gefragt. Estland, das über eine nahezu vollständige W-LAN-Abdeckung verfügt, zeigt, dass das möglich ist. Anschließend spielen Synergien zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunen eine entscheidende Rolle – ebenso wie Bürgerbeteiligungen und öffentlich-private Partnerschaften. Ideen, Know-how und Mittel müssen darüber gebündelt werden, um gemeinsame Ziele zu definieren und zu realisieren. In der Wirtschaft sind dazu sogenannte digitale Ökosysteme ein Konzept, um die Zusammenarbeit effizienter zu gestalten.

Welche Rolle spielt in Zukunft das Thema Open Data für Städte, Kommunen und Gemeinden?
Damit die Vision von Smart Countries erfolgreich gelingt, braucht es die aktive Bürgerbeteiligung. Die Menschen müssen mitgenommen werden, indem man ihre Ideen und Wünsche miteinfließen lässt. Nur so können wir das eigentliche Ziel, das Leben der Menschen zu verbessern, erreichen. Daher ist auch das Thema Open Data wichtig, um der Bevölkerung den Zugang zu den Daten zu ermöglichen und sie in die Weiterentwicklung miteinzubeziehen. Natürlich spielt hier auch der Datenschutz eine wichtige Rolle. Deshalb ist es entscheidend, das Thema Datentransparenz und die Anonymisierung bestimmter Daten in Einklang zu bringen. Die „Digitalstadt Darmstadt“ betreibt beispielsweise eine zentrale Datenplattform, die Messungen zum Verkehrswesen bereitstellt. Auf diese Plattform kann jeder zugreifen.

Weitere Informationen unter:
https://digitalschmiede.vinci-energies.de/bernhard-kirchmair/

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