Wie D2C den E-Commerce revolutioniert

Unsere Redaktion spricht mit Oliver Lucas, geschäftsführender Gesellschafter der ecom consulting GmbH, und Carine Moitier, Gründerin von Cross-Border Commerce Europe, über den Direct-to-Customer-Vertrieb und die Herausforderungen beim grenzüberschreitenden E-Commerce in der EU. Die E-Commerce-Experten helfen Unternehmen, die ihren grenzüberschreitenden elektronischen Handel in, aus und nach Europa starten wollen und arbeiten unternehmensübergreifend auch eng mit der Europäischen Kommission zusammen.

Oliver Lucas

Oliver Lucas und
Carine Moitier
beraten und vernetzen Händler europaweit
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Carine Moitier


Herr Lucas, welche Vorteile bietet der „Direct-to-Customer“-Vertrieb?

Viele denken D2C sei nur ein weiterer Vertriebskanal, doch zusätzlicher Umsatz ist nicht die Hauptmotivation. Entscheidend ist neben der digitalen Hoheit über das komplette eigene Marken- und Produktspektrum vor allem der direkte Zugang zum Endkunden – und damit zu einem unmittelbaren, direkten Feedback zu Marke, Produkten, Prozessen und Services.

Davon profitiert jeder Hersteller und jede Brand, denn dank dieser ungefilterten Rückkoppelung vom Kunden lässt sich schneller und besser kommunizieren, entwickeln und optimieren. Und mittelfristig entstehen hieraus direkte Kundenbeziehungen und ein wertvoller Datenschatz.

Wie sollten heute Hersteller vorgehen, die sich für den „Direct-to-Customer-Vertrieb“ entschieden haben?

Ganzheitlich denken: Das Dreieck aus Produkt & Service, Markt und Kunde muss in allen Ausprägungen durchdekliniert werden. Zunächst muss jeder Aspekt für sich durchdacht und mit einem D2C Mindset ausgearbeitet, aber auch in Abhängigkeiten zu einander gesetzt werden. Wer diese Hausaufgaben macht, schafft schon eine gute Basis.

Übergreifend ist es wichtig, ein gemeinsames Bild davon zu zeichnen, in welche Richtung sich das Unternehmen in den nächsten Jahren entwickeln kann und soll. Dennoch sollte die konkrete Planung besser nur die nächsten sechs bis zwölf Monate umfassen, um dann möglichst flexibel auf verändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können.

Warum sind in diesem Kontext Direct Brands und Digital-Native-Brands besser aufgestellt?

Direct Brands sind mit dem Ohr am Kunden und dessen Bedürfnissen entstanden – und verbinden ihre Produkte mit einem übergeordneten Purpose. Sie bauen ihre Kundenbeziehungen von Anfang an auf Daten auf. Sie entwickeln agil, analysieren und optimieren stets kunden- und datenorientiert.

Es herrscht hier Start-up-Mentalität: Direct Brands (re-)agieren schnell und flexibel auf neue Trends und Bedürfnisse. Ausprobieren, analysieren, optimieren: Das macht die Newcomer unglaublich schnell, kundenorientiert und damit sehr gefährlich für große etablierte Marken und Hersteller.

Wie helfen Sie Ihren Kunden beim E-Commerce neue Kunden bzw. direkt den Endkunden, neue Märkte und Regionen zu erschließen?

Eine Standardlösung wird diesem Themenfeld nicht gerecht. ecom consulting berät immer individuell, wie das Zusammenspiel von Digitalstrategie sowie Systemen, Prozessen und Organisation optimiert werden kann.

Je nach Ausrichtung und Ziel eines Unternehmens variieren auch unsere Lösungsansätze. Wir gehen dabei stets unternehmerisch und ganzheitlich vor und fokussieren auf umsetzbare Ansätze und nicht auf die schönste Powerpoint-Präsentation. Wir agieren dabei wie ein Fahrlehrer: Wir kennen die Wege und die Regeln, aber verfolgen das Ziel, dass der Kunde bald selbst ein sicherer Fahrer wird und uns – wenn überhaupt – nur noch als Sparringspartner braucht.

Welche Rolle spielt dabei die digitale Transformation und die Unternehmenskultur?

Eine große! Die digitale Transformation ist kein nice to have mehr. Die Digitalisierung reißt alte Grenzen ein und sprengt damit die funktionale Organisationskultur der 90er.

Die Ziele der Digitalisierung sind vielfältig. [SM1] Wenn Prozesse neu gedacht und gestaltet werden, betrifft dies einzelne Menschen und Abteilungen. Durch Automatisierung werden bspw. Zeitkapazitäten frei, weil Excel-Listen nicht mehr händisch gepflegt werden müssen. Alte Aufgaben entfallen und neue kommen hinzu. Es gibt eigentlich keine Mitarbeiter mehr, die ausschließlich offline agieren.

Unternehmen und Mitarbeiter, die an starre Strukturen und vorgegebene Prozesse gewöhnt sind, tun sich damit schwer. In einer angemessenen Unternehmenskultur wird die Organisation mit auf die Reise genommen, damit alle die Chance haben, sich bestmöglich einzubringen, sich niemand überrollt fühlt und aussteigt. Digitalisierung per Vorstandsentscheidung alleine wird nicht erfolgreich sein.

Müssen dadurch Geschäftsmodelle um- oder gar neu gedacht werden?

Absolut. Direct to Consumer ist kein reiner Vertriebskanal. Es ist eine strategische Grundsatzentscheidung, die langfristig und konsequent gedacht und umgesetzt werden muss. Kurzfristige Umsatz- und Gewinneffekte sollten dabei nicht im Vordergrund stehen.

Eine D2C-Strategie zahlt auf den Wert und die Entwicklung des Unternehmens und dessen Kundenbindung ein. Somit gehört sie zum Kern des Unternehmens und betrifft daher auch das Marketing, CRM oder die IT. Und hier muss wiederum auch in Sachen Erfolgsmessung umgedacht werden. Im D2C gelten ganz andere KPI als im Retail.

www.ecom-consulting.de

Frau Moitier, welche Herausforderungen müssen für den grenzüberschreitenden E-Commerce in der EU gemeistert werden?

Es gibt viele Herausforderungen, die von unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen über komplizierte und teure Steuersysteme bis hin zu Herausforderungen in Bezug auf Logistik, Zahlungen und Sprachfragen reichen. Diese Probleme bestehen sowohl aus der Sicht der Unternehmen als auch aus der Sicht der Verbraucher. Im Jahr 2020 war die größte Sorge aus Sicht der Kunden, dass die Lieferung der Produkte zu lange dauert. Weitere Bedenken waren, die Website könnte unsicher sein, dass kein internationaler Versand angeboten wird, dass keine geeigneten oder bequemen Zahlungsmethoden vorgeschlagen werden und dass das Bestellverfahren nicht intuitiv ist.

Wie kann Ihr Netzwerk in diesem Kontext helfen?

Cross-Border Commerce Europe bietet seinen Partnern verschiedene Möglichkeiten zur Interaktion innerhalb der Gemeinschaft. Die wichtigsten davon sind unsere Veranstaltungen und unser Wissenszentrum. Wir organisieren jedes Jahr zwei Cross-Border-C-Suite-Veranstaltungen in Brüssel, bei denen internationale Retail-Entscheidungsträger mit Experten der EU-Kommission und des EU-Parlaments zusammenkommen. Das Ziel ist es, neue Partnerschaften zu schaffen und durch runde Tische, Auszeichnungen und informelle Sitzungen voneinander zu lernen.

Neben unseren zwei jährlichen Veranstaltungen entwickeln wir mit CBCommerceNEXT® die Zukunft des grenzüberschreitenden Handels. In Round-Table-Sitzungen zu Themen wie Nachhaltigkeit, Kundenorientierung und Marktplätze bis hin zu Omnichannel, Scale-ups und Marken, die direkt an die Verbraucher gehen, werden unsere Experten und Einzelhändler die Zukunft des grenzüberschreitenden Handels definieren.

Welche Auswirkungen haben die neuen Regeln vom 1. Juli im Kontext der neuen Mehrwertsteuer-Regelungen für den grenzüberschreitenden E-Commerce in der EU?

Die neuen Mehrwertsteuervorschriften für den Online-Handel werden das Leben für alle Unternehmen vereinfachen und für mehr Transparenz bei der Preisgestaltung und den Wahlmöglichkeiten der Verbraucher sorgen. Sie betreffen Online-Verkäufer und -Marktplätze innerhalb und außerhalb der EU, Postunternehmen und Kuriere, Zoll- und Steuerverwaltungen sowie Verbraucher.

Diese neuen Vorschriften stellen eine große Veränderung in der Art und Weise dar, wie Online-Unternehmen in der EU mit ihren MwSt-Anforderungen umgehen; sie bringen ungeahnte Vorteile mit sich, wenn es darum geht, Geschäfte zu erleichtern, Betrug einzudämmen und die Kundenerfahrung für Online-Käufer in der EU zu verbessern.

Welche Rolle spielen die „One Stop Shops“?

Ab dem 1. Juli 2021 können sich Online-Verkäufer in ihrem eigenen Mitgliedstaat und in ihrer eigenen Sprache für die EU-Mehrwertsteuer registrieren lassen. Nach der Registrierung kann der Online-Händler in einem elektronischen Portal, dem so genannten „One Stop Shop“, die Mehrwertsteuer für alle seine Verkäufe in der EU über eine vierteljährliche Erklärung anmelden und abführen. Der One Stop Shop kümmert sich um die Übermittlung der Mehrwertsteuer an den jeweiligen Mitgliedstaat. Das bedeutet, dass sie sich nicht mehr in jedem Mitgliedstaat, in dem sie einen Umsatz über einem bestimmten Gesamtschwellenwert erzielen, der von Land zu Land unterschiedlich ist, für die Mehrwertsteuer registrieren lassen müssen.
Ab dem 1. Juli werden diese Schwellenwerte durch einen gemeinsamen EU-Schwellenwert von 10.000 € ersetzt, bei dessen Überschreitung die Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat gezahlt werden muss, in den die Waren geliefert werden.

Welches Ziel verfolgen Sie mit cbcommerce.eu?

Cross-Border Commerce Europe ist der EU-Einzelhandelsbeschleuniger, der wertvolle Informationen und Partnerverbindungen für Unternehmen bereitstellt, die ihren grenzüberschreitenden elektronischen Handel in, aus und nach Europa starten oder ausweiten wollen. Diese Positionierung ist einzigartig auf dem EU-Markt. Cross-Border Commerce Europe, CBCommerce.eu, hat sich zur anerkannten Publikations-, Forschungs- und Veranstaltungsgruppe für EU-Handelsinformationen entwickelt. Diese schnell wachsende Wissens- und Netzwerkplattform fördert die internationale Gemeinschaft von Führungskräften des Einzelhandels aus über 9000 Unternehmen.

Mitglieder und Partner dieser europäischen Plattform haben Zugang zu halbjährlichen grenzüberschreitenden C-Suite-Veranstaltungen, vierteljährlichen Marktforschungsberichten zum grenzüberschreitenden eCommerce, wöchentlichen Newslettern mit Brancheneinblicken, einem Blog und einem Wissenszentrum mit globalem Benchmarking.

„Handel mit Zukunft“: Welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit beim E-Commerce und E-Handel?

Nachhaltigkeit ist inzwischen ein sehr wichtiger Aspekt im E-Commerce geworden. Es bezieht sich auf alle Bereiche eines Unternehmens: Produkte und Retouren, Versand und Retouren, Verpackungen, etc. Unternehmen, die auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen schon heute die Weichen für nachhaltigen Online-Handel stellen.

www.cbcommerce.eu


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