Wertschöpfung durch Vernetzung

Wie Ökosysteme die Digitalisierung im Mittelstand voranbringen

Ökosysteme spielen bei komplexen Veränderungsprozessen wie der Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Als Netzwerke aus gewachsenen Unternehmen und aufkeimenden Start-ups sind sie wegbereitend für die digitale Zukunft – insbesondere für den Mittelstand. Dank bewährter Strukturen und Prozesse sowie vorhandener Technologien einerseits und immenser Innovationskraft aufgrund ihrer Flexibilität andererseits erzeugen sie enorme Synergien.

Wie und warum, erklärt Jonas Grundler, Head of IoT & Digital Innovation der Novatec Consulting GmbH, im Interview mit der TREND-REPORT-Redaktion.

Herr Grundler, warum sollten sich mittelständische Produktionsunternehmen der Technologie öffnen?

Der weltweit schier unbegrenzte Zugriff auf Produkte und Dienstleistungen erhöht den Wettbewerbsdruck. Und das spüren Produktionsunternehmen schon ganz deutlich. Hinzu kommen steigende Kundenanforderungen, vor allem in Bezug auf Customizing. Mit diesen Entwicklungen Schritt halten zu wollen und wohl auch zu müssen, zwingt die Firmen regelrecht zur Automatisierung und Arbeitsteilung. Dazu benötigen sie zunehmend digitale Technologien, zum Beispiel eine KI-gestützte Anlagensteuerung sowie Produktions- und Logistiksysteme, die unternehmensübergreifend miteinander vernetzt sind.

Nur so können sie ihre Lieferketten jederzeit agil anpassen, Mitarbeiter ortsunabhängig an gemeinsamen Projekten arbeiten lassen oder Produktionsanlagen virtuell in Betrieb nehmen. Ziel ist dabei immer, entweder den Kundennutzen zu erhöhen, neue Geschäftsfelder zu erschließen oder die Effizienz zu steigern – oder alles zusammen. Ohne die richtige Technologie sind Unternehmen gar nicht in der Lage, digitale Services zu kreieren, und werden mir nichts, dir nichts vom Wettbewerb abgehängt.


„Durch eine enge Kollaboration mit Start-ups innerhalb eines Ökosystems können Mittelständler ihre Innovationsfähigkeit dennoch steigern.“


Zur Person

Jonas Grundler, Head of IoT & Digital Innovation der Novatec Consulting GmbH, ist seit 2011 als Senior Managing Consultant bei Novatec in der Kundenberatung tätig.

Dabei geht es ihm insbesondere darum, die Innovationskraft und Kreativität der Kunden zu stärken – Stichwort Enabling Innovation. Er ist auch für die strategische Weiterentwicklung der Novatec-Dienstleistungen für die Fertigungsbranche zuständig. Seit 2018 leitet er darüber hinaus den Bereich IoT & Digital Innovation und ist damit auch für das unternehmenseigene Business Development verantwortlich.

https://www.novatec-gmbh.de/

Jonas Grundler ist Mitgründer der Start-ups BeGuided UG und Race4Track UG.


Wie steht es aktuell um die Digitalisierung im Mittelstand?

Dass im deutschen Mittelstand erheblicher Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung besteht, hat zuletzt die Pandemie mehr als deutlich gemacht. Man muss aber auch verstehen, dass es für einen deutschen Mittelständler äußerst schwierig ist, die digitale Transformation allein zu realisieren und auch zu finanzieren. Dafür fehlen ihm sowohl die personellen und infrastrukturellen Ressourcen als auch das erforderliche Know-how.

Somit kann der digitale Wandel nur sehr langsam vonstattengehen. Und selbst wenn es sich ein Produktionsunternehmen leisten könnte, intensive Entwicklungsarbeit zu betreiben, sind die technologischen Möglichkeiten kaum zu überblicken: von Cloud und Machine Learning bis hin zu Industrie 4.0. Wie soll ein mittelständisches Unternehmen da sowohl seinen Fertigungsprozess als auch seine Lieferketten optimieren – und zugleich die Erweiterung des eigenen Portfolios in Angriff nehmen? Das ist gar nicht zu schaffen. Nicht ohne die richtigen Impulse und die notwendigen Kapazitäten von extern.

Impulse und Kapazitäten von außen – wo finden Mittelständler diese?

Optimalerweise in einem plattformbasierten IT-Ökosystem. Hier können mittelständische Unternehmen und Start-ups gegenseitig von ihrem Know-how, ihrer Erfahrung und ihren Ideen profitieren – und die eigenen Lücken schließen. Die Stärken des einen beheben die Schwächen des anderen: Der etablierte Mittelständler verfügt beispielsweise über bewährte Prozesse und Strukturen, die optimal auf seine Produktpalette und derzeitigen Zielmärkte ausgerichtet sind.

Eine wichtige Voraussetzung für seinen gegenwärtigen Geschäftserfolg, aber unter Umständen ein Hemmnis für den zukünftigen. Denn um innovativ und wettbewerbsfähig zu sein, müssten Firmen in bestehende Abläufe eingreifen. Ohne Garantie, dass eine Idee auch tatsächlich die Marktreife erlangt und am Markt besteht. Das ist ein Risiko, das die wenigsten mittelständischen Unternehmen tragen können oder wollen. Durch eine enge Kollaboration mit Start-ups innerhalb eines Ökosystems können sie ihre Innovationsfähigkeit dennoch steigern.

Wie muss man sich das vorstellen?

Anders als etablierte Unternehmen können Start-ups mit ihren flachen Hierarchien, agilen Methoden und gelebter Offenheit neue Ideen leichter ausprobieren – ohne dass dies massive Auswirkungen auf ihr Tagesgeschäft hätte. Sie überprüfen leichter und flexibler den Kundennutzen oder die Machbarkeit technischer Lösungen. Sie können neue Geschäftsmodelle direkt am Markt auf deren Erfolgschancen testen. Dies würde weder das laufende Geschäft noch die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Unvoreingenommenheit und Offenheit gegenüber Markt und Möglichkeiten. Dadurch sind Start-ups in der Lage, gänzlich neue Ideen zu entwickeln.

Können Sie hierzu ein Praxisbeispiel schildern?

Ein sehr gutes Beispiel ist der digitale Reiseleiter für die Hosentasche – eine Entwicklung der BeGuided UG. Sie ist eine Ausgründung von Novatec Consulting gemeinsam mit dem Gründer Fabian Schulz. Als Beratungsunternehmen ist Novatec auf IT-Dienstleistungen im Business-to-Business spezialisiert. Der Fokus liegt auf den Bereichen KI und Cloud Computing. BeGuided spricht als Start-up mit seinen smarten Software-Applikationen vor allem Individual-Touristen an.

Verschiedene Zielgruppen, Märkte und Geschäftsmodelle trennen die beiden Unternehmen. Was sie vereint, ist die Technologie. Beide setzen auf ein intelligentes Tracking – sowohl in- als auch outdoor. Dieses kommt von den erfahrenen Software-Ingenieuren des etablierten Unternehmens und zielte eigentlich auf den B2B-Bereich ab. Nie im Leben hätte man daran gedacht, eine Sightseeing-App für Touristen zu entwickeln. Auf die Idee gekommen ist jedoch der Start-up-Gründer Schulz, der sie aber nur dank des Know-hows und der Ressourcen von Novatec so schnell zur Marktreife hat bringen können.

Das heißt, jedem Mittelständler sollte ein Start-up zur Seite gestellt werden?

So einfach ist es nicht, denn der Grundgedanke eines Ökosystems ist ein anderer. Nach naturwissenschaftlicher Definition liegt der funktionale Nutzen eines Ökosystems in der synergetischen Vernetzung der darin enthaltenen Elemente. Dadurch können sich diese und das Ökosystem als Ganzes unbegrenzt und dynamisch weiterentwickeln. So ähnlich funktioniert das auch im unternehmerischen Sinn. Denn es ist nicht nur ein einzelnes Start-up, sondern viele Start-ups, die Impulse geben, Know-how und Ressourcen zur Verfügung stellen. Impulse können aber auch von branchenfremden Unternehmen, wie Business- und IT-Beratern kommen. Deshalb ist es für den Mittelständler empfehlenswert, die Kollaboration auch auf andere Unternehmen, Start-ups oder Berater auszuweiten.

Um ihre Innovationskraft zu stärken, sollten sich Produktionsunternehmen auch regelmäßig in bestehenden Ökosystemen umsehen. Dort finden sie reichlich Inspiration und bei Bedarf den passenden Umsetzungspartner. Dafür ist ein Ökosystem wie geschaffen: Ob Newcomer, etabliertes Unternehmen oder IT-Berater – die jeweiligen Partner in einem Ökosystem kennen ihre Fachbereiche aus dem Effeff, ebenso die Besonderheiten von Branchen und Märkten. In Deutschland hat sich bereits das Ökosystem „Gründermotor Baden-Württemberg“ etabliert. Es verbindet große Mittelständler und Start-ups mit kommunalen Einrichtungen, wissenschaftlichen Institutionen und Initiativen.

 

Checkliste für die Wahl des Ökosystems

  • Kommuniziert der Betreiber eines plattformbasierten IT-Ökosystems aktiv zu Branchenentwicklungen?
  • Verfügt der Betreiber über Praxisreferenzen im Bereich Kollaboration?
  • Passen die im Netzwerk vorhandenen Unternehmen und Start-ups zueinander – nicht, weil sie aus der gleichen Branche stammen, sondern weil Synergien entstehen?
  • Engagiert sich der Plattformbetreiber oder involvierte IT-Dienstleister in der Zusammenarbeit mit Start-ups?

Wie finden Unternehmen das passende Ökosystem?

Bei der Suche nach einem IT-Ökosystem helfen IT-Berater wie wir von Novatec den Unternehmen weiter. Als Teil der Ökosysteme kennen IT-Berater die digitalen Trends und bringen ihr Wissen in die Ökosysteme hinein. Sie sind in der Lage, Start-ups und etablierte Unternehmen zu bewerten und passende Empfehlungen an die Produktionsfirmen zu geben, welche Technologie- und Finanzierungspartner zu ihnen passen.

Wann sollten Mittelständler aktiv nach einem Ökosystem suchen?

Lieber früher als später, denn Herausforderungen für die Produktionsunternehmen nehmen weiter zu: Märkte werden volatiler, Produktzyklen kürzer und der Anspruch an individuelle Produkte höher. Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen, brauchen Mittelständler jetzt die passenden Lösungen. Je schneller die Firmen das richtige Ökosystem für sich finden, desto eher profitieren sie von den bestehenden Strukturen, Technologien und Erfahrungen – und die digitale Transformation geht endlich voran.

Jonas Grundler, Head of IoT & Digital Innovation der Novatec Consulting GmbH, ist seit 2011 als Senior Managing Consultant bei Novatec in der Kundenberatung tätig. Dabei geht es ihm insbesondere darum, die Innovationskraft und Kreativität der Kunden zu stärken – Stichwort Enabling Innovation. Zudem ist Grundler auch für die strategische Weiterentwicklung der Novatec-Dienstleistungen für die Fertigungsbranche zuständig.
Seit 2018 leitet er darüber hinaus den Bereich IoT & Digital Innovation und ist damit auch für das unternehmenseigene Business Development verantwortlich.

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