Warum nachhaltige Wirtschaft nicht ohne Geodaten möglich ist

Wir sprachen mit Jürgen Schomakers, dem Managing Partner Esri DECH, darüber, wie Geodaten eine nachhaltige Wirtschaft und vor allem eine profitable Wirtschaft unterstützen können.

Jürgen Schomakers zeigt im Interview das Potenzial von Geodaten für nachhaltiges Wirtschaften.

Welche Auswirkungen könnte der voranschreitende Klimawandel aus Ihrer Sicht für die Wirtschaft haben?
Vielen fällt es noch immer schwer, die tatsächlichen Folgen des Klimawandels abzuschätzen – und da bildet auch die Wirtschaft keine Ausnahme. Doch die Auswirkungen, die diese Veränderungen nach sich ziehen, sind von Jahr zu Jahr deutlicher spürbar. Erst neulich haben wir in Deutschland zahlreiche Starkregenereignisse erlebt, die die Infrastruktur ganzer Landstriche zusammenbrechen ließen. Gleichzeitig herrschte auf der anderen Seite des Globus, nämlich an der Westküste der USA und Kanada, eine noch nie dagewesene Hitzewelle von 50°C und mehr. Der Klimawandel ist schon heute allgegenwärtig und es ist unbestreitbar, dass dieser auch immer größere Auswirkungen auf die globale Wirtschaft haben wird.
Betrachten wir beispielsweise die aktuelle Holzknappheit: Der Bedarf ist weltweit enorm gestiegen und vor allem Nadelholz wird derzeit massenhaft von Deutschland ins Ausland exportiert. Das hat zur Folge, dass deutschen Handwerksbetriebe, denen der nötige Rohstoff fehlt, kaum mehr bei ihren Aufträgen hinterherkommen. Doch dieses Problem liegt nicht nur in der Tatsache begründet, dass China und die USA einfach mehr für unser Holz zahlen. Auch der Klimawandel spielt eine entscheidende Rolle. Analysen von Wissenschaftlern der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg zeigen, dass besonders Nadelhölzer, allen voran die Fichte, von der Erderwärmung bedroht sind. Dürreperioden und Hitze begünstigen zudem die Ausbreitung des Borkenkäfers: Schon jetzt hat dieser große Teile unseres Fichtenbestands befallen und zerstört. Der begehrte Rohstoff wird demzufolge mittelfristig immer knapper und die Preise schießen in die Höhe. Diese Entwicklung wird auch nicht vor anderen Rohstoffen halt machen.
Auf lange Sicht kann dieser Wandel fatale Folgen für die Wirtschaft haben. Wenn Extremwetterereignisse weiterhin zunehmen, könnte außerdem ein Zusammenbruch der bisherigen Lieferketten erschwerend hinzukommen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat eindrucksvoll bewiesen, als wie fragil sich diese in Krisenzeiten herausstellen können.

Wieso macht es gerade für Unternehmen Sinn, sich für eine nachhaltigere Zukunft einzusetzen? Was sind die wichtigsten Schritte, die Unternehmen tätigen sollten, wenn sie die Auswirkungen ihres Handelns auf den Klimawandel abschätzen und einschränken möchten?
Schreiten die Entwicklungen weiterhin im selben Maße voran, wie wir es derzeit weltweit erleben, könnten einigen Branchen innerhalb von wenigen Jahren vor massiven Problemen stehen. Aber das ist nicht der einzige Grund, weshalb es für Unternehmen sinnvoll ist, jetzt zu handeln und vermehrt in nachhaltigere Prozesse zu investieren. Auch seitens der Konsumenten hat sich das Bewusstsein diesbezüglich enorm geschärft und ist innerhalb der vergangenen Jahre von einem Nischenthema zu einem wichtigen Kaufargument geworden. So belegen unter anderem die Ergebnisse einer Umfrage der Unternehmensberatung Capgemini, dass knapp 80 Prozent der Verbraucher damit begonnen haben, ihr Kaufverhalten zu überdenken. Weitere 64 Prozent gaben in diesem Rahmen sogar an, dass das Kaufen nachhaltiger Produkte sie glücklich mache. Für Unternehmen ist Nachhaltigkeit also längst nicht mehr die Kür. Es ist zum Pflichtprogramm geworden. Und wer diesem Anspruch nicht gerecht werden kann, wird auf lange Sicht hinter der besser aufgestellten Konkurrenz zurückbleiben oder vielleicht sogar ganz von der Bildfläche verschwinden.
Um das zu verhindern und sich stattdessen nachhaltiger aufzustellen, gibt es drei wesentliche Punkte, die Unternehmen beachten müssen:

  1. Die richtige Technologie
    Völlig unabhängig davon, wie groß die Bestrebungen eines Unternehmens auch sein mögen – ohne die notwendige technologische Grundlage werden diese nicht zum Erfolg führen. Um zu umfassenden Erkenntnissen zu gelangen, die Potenziale für umweltfreundlichere Prozesse offenlegen, werden riesige Datenmengen aus den unterschiedlichsten Quellen benötigt. Diese manuell oder mit notdürftig kombinierten Tools zu analysieren, ist kaum möglich. Deshalb macht es Sinn, in eine Lösung zu investieren, die sich flexibel anpassen lässt, sollten sich die Bedürfnisse des Unternehmens mit der Zeit wandeln.
  2. Alle Daten einbeziehen
    Um sich einen dauerhaften Rundumblick zu ermöglichen, spielen nicht nur die unternehmensinternen Daten eine wichtige Rolle. Auch die Informationen anderer Akteure wie beispielsweise die von Produzenten, Lieferanten oder einzelner Verkaufsstellen müssen miteinbezogen werden. Darüber hinaus kann auch ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus ratsam sein. Das bedeutet, dass es sich lohnt, auch auf Daten, die von anderen Unternehmen und Organisationen bereitgestellt werden, zurückzugreifen. Insbesondere Geo- und Umweltdaten erweitern die Geschäftsdaten um eine weitere Dimension. So lassen sich bereits frühzeitig neue Trends erkennen, die ein Risiko für die gesetzten Ziele darstellen könnten.
  3. Erkenntnisse gewinnen
    Sind die notwendigen Grundsteine gelegt, können alle Daten in Zusammenhang gebracht werden. An dieser Stelle haben Unternehmen endlich die Möglichkeit, Potenziale zu erkennen, an denen sie nachhaltiger handeln können. Wichtig hierbei ist, dass das nicht unbedingt die Prozesse sein müssen, die sie vermuten, wie beispielsweise eine umweltfreundlichere Transportalternative oder eine andere Verpackung. Oft können schon kleine Dinge einen großen Unterschied machen und mithilfe modernen Technologien haben sie die Chance, genau diese aufzudecken.

Esri ist Spezialist im Bereich Location Intelligence. Welche Rolle spielen Geodaten im Allgemeinen und Location Intelligence im Speziellen für ein nachhaltiges und umweltbewusstes Handeln von Unternehmen?
Unternehmen haben längst verstanden, welch unglaublich großer Wert in Daten verborgen liegt und investieren dementsprechend viel, um diese zu analysieren und datenbasierte Entscheidungen treffen zu können. Geodaten sind jedoch eine Informationsebene, die noch immer von vielen vernachlässigt wird – auch im kommunalen Bereich. In Städten und Gemeinden spielen sie allerdings nicht nur eine wichtige Rolle, um nachhaltiger zu wirtschaften. Sie sind ebenso essenziell, damit die Lebensqualität dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Teilweise fehlt es beispielsweise an begrünten Flächen, die Temperaturen ausgleichen können, oder aber die Luftzirkulation zwischen den Gebäuden wird bei der Planung nicht angemessen berücksichtigt. Das kann dazu führen, dass die aufgeheizte Luft im Sommer nicht richtig abfließen kann – ein echtes Problem angesichts des stetig voranschreitenden Klimawandels. Deshalb ist es für Städte und Gemeinden jetzt höchste Zeit, eine passende Strategie zur Verbesserung des Klimas vor Ort zu erarbeiten, auch mit Blick auf die Wasserversorgung. Andernfalls könnten sie an Lebensqualität verlieren.
Räumliche Analysen, die das Kernstück von GIS-Software sind, stellen die Basis für nachhaltiges Wirtschaften und Handeln dar. Ein Unternehmen aus unserer Partnerlandschaft, das Kommunen bei ihrer Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt, ist der GIS-Lösungsspezialist IP SYSCON. Zusammen mit Städten, Landkreisen oder Energieversorgern analysiert er unter anderem, welche Dächer für die Photovoltaik- oder Solarthermienutzung geeignet sind und kann mithilfe externer Daten den genauen Ertrag für den jeweiligen Standort berechnen. Auch die Frage, welche Effekte energetische Sanierungen haben könnten oder welcher Straßenzug wann den größten Wärmebedarf hat, kann miteinbezogen werden.
Laut IP SYSCON ist derzeit erst ein knappes Zehntel des tatsächlichen Dachflächenpotenzials ausgenutzt. Doch gerade mit Blick in die Zukunft, in der wir aufgrund der Abkehr von fossilen Energiequellen immer mehr auf erneuerbare Energien setzen, ist es sinnvoll, genau jetzt mit der Implementierung neuer Strategien zu beginnen. Dies zu verstehen und alle relevanten Daten in einen größeren Kontext zu setzen, ist das, was wir Location Intelligence nennen. Denn nur so haben Unternehmen, ebenso wie Kommunen und Regierungen die Chance, Zusammenhänge zu erkennen, die ohne die Visualisierung durch Karten und Dashboards unsichtbar sind. Mit dem gewonnen Wissen können sie nachhaltige Entscheidungen treffen, die auch in Zukunft noch mit den Bedürfnissen der Umwelt und des Menschen übereinstimmen.

Gibt es Organisationen, die Geodaten schon heute erfolgreich einsetzen, um nachhaltiger wirtschaften zu können? Welche Lösungen bietet in diesem Zusammenhang Ihr Haus und wie können Unternehmen diese nutzen?
Um beim aktuellen Beispiel zu bleiben: Gerade in der Forstwirtschaft ist vorausschauendes und nachhaltiges Handeln essenziell. Der Forst Baden-Württemberg (ForstBW) beispielweise setzt bei seiner Arbeit bereits seit Längerem auf unsere Location Intelligence-Technologie. Die ForstBW verantwortet etwa 300.000 Hektar Staatswald und beschäftigt 1.800 Mitarbeitende. Das Ziel des ForstBW ist es, ökologisch vorbildlich, sozial ausgewogen und ökonomisch erfolgreich zu arbeiten – und das bringt uns direkt zurück zum bereits erwähnten Schädling, dem Borkenkäfer. Da er eine starke Bedrohung für die Waldbestände darstellt, hat der Landesbetrieb seine Arbeitsabläufe neu konzipiert und setzt seither auf nahtlose, digitale Workflows, die auf dem Prinzip von Location Intelligence basieren. Mithilfe mobiler Geräte können die Mitarbeitenden vor Ort in Echtzeit melden, wenn ein Baum vom Borkenkäfer befallen ist und den Standort entsprechend auf der Karte markieren. Das ermöglicht nicht nur ein schnelleres Erfassen und Beseitigen der Schäden, sondern hilft auch dabei, Muster zu erkennen und dadurch eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Gerade mit Blick auf die Prognosen der Wissenschaftler aus der Forstwirtschaft wird deutlich, warum es so wichtig ist, Geodaten zu nutzen und zu analysieren, um unseren Wald vor dem Klimawandel und seinen Folgen zu schützen.
Wir bei Esri ermöglichen es sowohl Unternehmen als auch Behörden und Non-Profit-Organisationen, Location Intelligence als festen Bestandteil in ihre Digitalstrategie zu integrieren. Unser ArcGIS System ist je nach Bedarf skalierbar und die Anwendungen sind für Desktops, mobile Geräte als SaaS- und als PaaS-Lösung lizenzierbar. Zudem sind unzählige Apps verfügbar, denn mehr als 2.000 Partner weltweit entwickeln Apps für das ArcGIS System. Ein zusätzliches herausragendes Feature ist der „Living Atlas of the World“ – die weltweit wohl größte Sammlung geografischer Informationen mit Entwicklerservices, Datenservices und location services. Ständig kommen neue Daten hinzu, von amtlichen Daten bis hin zu User Generated Content aus unserer weltweiten Community.
Um noch mehr Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen die Möglichkeit zu geben, die Umgebung, in der sie sich befinden, besser zu verstehen, hat Esri erst kürzlich eine neue, digitale Karte zur freien Nutzung veröffentlicht. Die „Global Land Cover Map“ basiert auf Satellitenbildern der ESA und wurde zusammen mit Microsoft und dem Startup Impact Observatory entwickelt. Sie gibt Auskunft darüber, in welchem Zustand sich unsere Welt derzeit befindet und gibt auch einen Ausblick in das Jahr 2050. Unser Ziel ist es, mit dieser neuen Karte eine aktuelle, konsistente und umfassende Datengrundlage für Umwelt- und Klimaschutzinitiativen jeglicher Art zu schaffen. 2021 ist ein entscheidendes Jahr, wenn es darum geht, endlich mehr Nachhaltigkeit zu etablieren, und wir freuen uns, mit unserer Location Intelligence-Technologie mehr Unternehmen und Organisationen dabei zu unterstützen.

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