So geht Coaching im Jahr 2030 – Eine Zukunftsprognose
In den letzten Jahrzehnten unterlag der Coaching-Markt einem rasanten Wandel und ist bis heute stark in Bewegung. So konnte sich Coaching mittlerweile in zahlreichen deutschen Unternehmen als fester Bestandteil der Personalentwicklung etablieren. Gründe für den stetig steigenden Bedarf liefert zum Beispiel die Implementierung des nicht zuletzt mit der voranschreitenden Digitalisierung verbundenen „New Work“: Mit ihr gehen veränderte Anforderungen und Bedingungen des modernen Arbeits- und Führungsalltages einher. Doch welche weiteren Entwicklungen dürfen Coaching-Klienten in den nächsten Jahren erwarten? Dr. Alexander Brungs, Vorstandsmitglied des Deutschen Coaching Verbandes (DCV e.V.) stellt sich der Herausforderung, diese Frage zu beantworten.
Digitale Coaching Provider auf dem Vormarsch
Die in fast allen Bereichen des Lebens immer schneller voranschreitende Digitalisierung hat auch vor der Coaching-Branche nicht Halt gemacht – und das hat Konsequenzen. So werden wir eine Entwicklung beobachten können, die – je nach Standpunkt – als Demokratisierung oder als Discountisierung des Coachings interpretiert werden kann: Es herrschen gute Wachstumsbedingungen für verschiedene Digital-Coaching-Anbieter, die auf neue Geschäftsmodelle setzen und von denen sich wohl einige auf dem Markt durchsetzen und etablieren werden. Die Folge: Einfache Standardangebote werden günstiger und niederschwellig zugänglich. Diese Dynamik könnte sich allerdings eher als Nachteil für Coachees und Coaches erweisen. So versprechen die digitalen Angebote den Interessierten vordergründig ein viel besseres, eben digital-innovatives Coaching. Davon sollte man sich aber keinesfalls blenden lassen, denn Coaching wird hier sicherlich nicht neu erfunden, und es ist auch längst nicht hinreichend klar, welche Themen auf welche Weise digital bearbeitet werden können und welche nicht, was genau Vorzüge und Risiken des Coachings im virtuellen Raum sind etc. Bis wir uns auf genügend Erfahrungswerte und valide Forschungsresultate stützen können, wird noch einige Zeit vergehen, und es bleibt mithin zu bezweifeln, dass solch vollmundige Versprechen auch gehalten werden können. Zudem vor allem lässt sich am Horizont ein vollautomatisiertes „Basic“-Coaching-Szenario im Sinne einer grundsätzlich menschenfeindlichen Dystopie erkennen.

Die Frage scheint also berechtigt: Wird Coaching im Jahr 2030 KI-Coaching sein?
Dass die Durchführung von Coachingprozessen mittels Künstlicher Intelligenz prinzipiell möglich ist, belegen aktuelle Forschungsbeiträge und auch punktuell erfolgreiche, spezialisierte Anwendungen. In Zukunft wird das Spannungsfeld Algorithmisierung vs. persönliche Kommunikation die Coaching-Branche begleiten. Für diejenigen, die künftig ein vollautomatisiertes Angebot erwarten, werden Programme und Plattformen zwar von Tag zu Tag besser, können aber weiterhin kein 360-Grad-Coaching leisten. Denn gutes Coaching zur Bearbeitung individueller Anliegen kann nicht ersetzt werden durch KI, die zwangsläufig gestützt ist auf das, was in einer Vielzahl von Prozessen gleich ist und mithin in standardisiertes Vorgehen übersetzt werden kann. Experten, die Coaching und Training – das ja genau auf standardisierten Verfahren basiert – als Bestandteile ein und desselben methodischen „Baukastens“ verstehen, werden künftig Probleme damit bekommen, ihr Angebot attraktiv zu halten. Ein großer Teil der Trainingsansätze bedient sich aus gutem Grund standardisierter Methodik und ist damit prädestiniert, durch einen Algorithmus abgebildet zu werden. Hart gesprochen: Coaches, die ausschließlich standardisierte Prozesse anbieten, werden in Zukunft obsolet und durch Algorithmen bzw. KI ersetzt.
Wir wollen uns sicher nicht verschließen vor dem technischen Fortschritt, der Angebote leichter zugänglich machen und auch einer einfacheren und transparenteren Qualitätssicherung auf manchen Feldern dienlich sein kann. So ist nicht von der Hand zu weisen, dass Algorithmisierung in vielen Bereichen gewinnbringend ist und sinnvoll eingesetzt werden kann. Bei Coaching jedoch geht es im Kern um persönlichen, individuellen Austausch, den ein Algorithmus nicht leisten kann. Wollten wir just diesen zentralen Faktor ausschalten, würden wir nicht einen Fort-, sondern einen Rückschritt im Instrumentenbestand der Personalentwicklung befeuern. Welche Ironie der Geschichte läge darin verborgen: Eine Epoche, in der medizinischer Fortschritt an vertiefter Individualisierung von Therapien gemessen wird, begrüßte gleichzeitig eine Verallgemeinerung und Standardisierung der Unterstützung von Persönlichkeitsentwicklung!
Face-to-face-Coaching weiterhin wichtig
Die Qualität der persönlichen Beziehung zwischen Coach und Coachee ist Kernfaktor für den Erfolg eines Coachingprozesses. Daher stellt sich die Frage, ob eine ausschließlich über virtuelle Kanäle unterhaltene Beziehung auch nur annähernd die gleiche Vertrauensbasis herstellen kann, wie ein Verhältnis, das im direkten Kontakt aufgebaut wird. Vorzüge des klassischen face-to-face-Coachings werden in Zukunft noch deutlicher hervortreten und in einem insgesamt zunehmend virtualisierten Alltag die Nachfrage nach realen Begegnungen erhöhen: Menschen, die generell bereit sind, etwas in ihr Fortkommen und ihre Lebenszufriedenheit zu investieren, werden zukünftig mehr Mittel aufwenden, um sich einer persönlichen Beziehung zu versichern. Dieser Effekt wird sich mit dem Voranschreiten der Digitalisierung und Virtualisierung weiter verstärken – in diesem Punkt sind sich die im Zuge neuerer Studien befragten Coaches einig.
Die digitale Vermittlung von Coaches an potentielle Klienten über spezialisierte Plattformen wird in Zukunft allerdings üblicher und selbstverständlicher werden. Sollte ein mit einfachen Mitteln bearbeitbares Thema anliegen, kann der Coachingprozess durchaus im Rahmen der virtuellen Welt verbleiben. Geht es aber um komplexere Fragen wie Kommunikation im Team oder Unternehmensführung, werden auch weiterhin „analoge“ Coachingsitzungen in Präsenz anstehen.
Qualitätsnachweise und Unabhängigkeit bleiben das A und O
Die erwähnte Wichtigkeit der persönlichen Beziehung zwischen Coach und Coachee lässt auch unmittelbar die große Bedeutung verlässlicher Qualitätsindikatoren für die Coachwahl erkennen. Es leuchtet ein, dass Anbieter von Coachingdienstleistungen allenfalls bedingt als Garanten einer möglichst objektiven Qualitätssicherung gelten können, denn niemand wird sich selbst ein kritisches Zeugnis ausstellen wollen. Eine entscheidende Rahmenbedingung für angestrebte Objektivität wird erst durch Unabhängigkeit der Prüfungsinstanz vom Geprüften hergestellt. Die von seriösen Coachingverbänden wie dem Deutschen Coachingverband e.V. (DCV) ausgegebenen Zertifikate bieten einen guten Anhaltspunkt, dessen Bedeutung sich in Zukunft noch steigen wird, da nur ein solches Verbandszertifikat – für ein inhaltlich weitgehend gesetzlich ungeregeltes Tätigkeitsfeld wie Coaching existieren ja keine staatlichen Überwachungsinstitutionen – interessenunabhängig die Qualifikation der Inhaber verbürgen kann.
Über den Autor:
Alexander Brungs ist seit 2010 als Coach tätig und seit sechs Jahren Vorstand im Deutschen Coaching Verband e.V. (DCV). Nach seinem Studium in Göttingen, Erlangen und Rom war Brungs an mehreren internationalen Forschungsprojekten beteiligt und unterrichtete an verschiedenen Universitäten in Deutschland und der Schweiz im Fach Philosophie. Derzeit ist er auch Projektmitarbeiter an der Professur für Neuere Geschichte (deutsch-jüdische Geschichte) der Universität Potsdam.
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