Schlüsselkompetenzen für die Zeit „danach“

Dies ist ein Gastbeitrag Prof. Dr. Stefanie Fiege und Prof. Dr. Volker Gruhn

Die umfassende Disruption, die die Digitale Transformation bedeutet, beschleunigt sich derzeit in beispiellosem Maße. Schon in den nächsten Monaten wird alles verändert, umgewandelt, neu definiert – Kommunikation, Kundenbeziehungen, Geschäftsprozesse, Lieferstrukturen, Wertschöpfungsketten und ganz besonders die Arbeitswelt. Auf neue Jobprofile, neue Berufe und neue Berufsbilder wie Big Data Scientist oder SEO-Manager hatte man sich ja eingestellt, für irgendwann, 2030 war in diesem Zusammenhang eine gern genannte Jahreszahl. Wenn die Wirtschaft – demnächst hoffentlich – wieder hochfährt, werden gerade die IT-Berufe umgehend gebraucht. Die Post-Corona-Economy wird eine digitale sein.

Jetzt wird schmerzlich bewusst, dass wir beim Aufbau von digitaler Expertise als Schlüsselkompetenz für die Digitale Transformation zurückhängen. Wir kennen vielleicht die neuen Jobs und wissen welche Kompetenzen voraussichtlich benötigt werden, doch die kompetenten Köpfe für die digitale Wirtschaft fehlen.

Prof. Dr. Stefanie Fiege verantwortet die akademische Leitung der XU Exponential University of Applied Sciences in Potsdam. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin. (Copyright: XU University)

Schon in der „Old-Economy“ hatten sich unter dem Schlagwort vom Fachkräftemangel hier deutliche Lücken offenbart, die branchenübergreifend die Innovationsfähigkeit ausgebremst und damit die Wettbewerbsfähigkeit bedroht hatten. Dem Branchenverband Bitkom zufolge mussten Ende 2019 im IT-Bereich über hunderttausend Stellen unbesetzt bleiben, mehr als doppelt soviel als zwei Jahre vorher. Besonders gefragt waren Programmierer, jedes dritte Unternehmen in Deutschland hatte mindestens eine offene Stelle in diesem Bereich anzubieten; Probleme, die sich unter den veränderten Rahmenbedingungen zuspitzen werden. Wie sich der Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund einer weltweiten Rezession weiter entwickeln wird, weiß niemand, doch dass es auf IT-Experten, beispielsweise in Bereichen wie Coding und Software Engineering, weiterhin ankommen wird, davon darf man ausgehen. IT-Expertise ist die Schlüsselkompetenz für die Zeit „danach“. Ohne sie gibt es keine digitalen Lösungen.

Die Erkenntnis, dass man beizeiten in entsprechende Bildung hätte investieren müssen, hilft heute niemandem weiter. Es darf vor allem kein Grund sein, jetzt zu resignieren und weiterhin die Hände in den Schoß zu legen. Für Bildung ist es nie zu spät, Unternehmen wie öffentliche Institutionen müssen die Post-Corona-Economy mit einer Bildungsoffensive begleiten. Es reicht dabei bei weitem nicht – und ist vielleicht sogar kontraproduktiv – den Schulen einfach einen Haufen Laptops oder Tablets vors Tor zu kippen und im Übrigen auf den Einfallsreichtum von Lehrern und Schülern zu hoffen. Da müssen schon konsistente Konzepte her. So muss Informatik endlich ein unverzichtbarer Bestandteil der Lehrpläne werden – nicht als Add-on für eine Handvoll Nerds, sondern als Kernfach wie Deutsch, Mathe und Englisch. Nicht nur, um Schülerinnen und Schülern Grundlagenwissen von Coding bis Blockchain zu vermitteln, sondern auch, um ihnen die Bandbreite der neuen Berufsbilder und -möglich­keiten überhaupt erst einmal vorzustellen. Und selbstverständlich sind hier nicht nur die klassischen Bildungseinrichtungen gefordert, sondern in hohem Maße auch die Unternehmen. Vereinfacht formuliert: Wer Fachkräfte braucht, muss selbst in entsprechende Bildung investieren.

Prof. Dr. Volker Gruhn gründete 1997 die adesso SE mit und ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrats. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Soft-ware Engineering an der Universität Duisburg-Essen und gehört seit März 2019 dem Hochschulrat der Universität Leipzig an. (Copyright: Julia Hermann)

Im Bereich der akademischen IT-Bildung ist das gemeinsame Hochschulprogramm, für das sich die XU Exponential University und adesso zusammengetan haben, für diese neuen Anforderungen gut aufgestellt. Die adesso School of Coding and Software Engineering ist darauf ausgerichtet, die Lücke bei IT-Expertise und IT-Fachkräften mit einem praxisnahen Ansatz zu schließen: Studierende werden in diesem Bildungsgang an durchschnittlich drei Tagen pro Woche an der Hochschule ausgebildet. Dabei steht das Überführen des Gelernten in die Praxis durch Experimentieren und die Entwicklung von Prototypen – beispielsweise durch Hackathons – im Vordergrund. Die restlichen zwei Wochentage können die Studierenden ihre Praxiserfahrung in konkreten Projekten bei Unternehmen ausbauen. Das Konzept ist selbstverständlich voll Online-tauglich und entspricht insofern den neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

In der digitalen Welt kann IT-Bildung nicht auf Schule und Hochschule beschränkt sein. IT ist schließlich kein festgeschriebener Bestand an Wissen und Fertigkeiten. Das „lebenslange Lernen“, das früher oft auf Bildungsurlaube oder auf pflichtmäßige interne Schulungsmaßnahmen reduziert wurde, muss daher zu einem integralen Bestandteil des Berufsalltags werden. Auch dafür müssen jetzt die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Herausforderung der Digitalen Transformation an Bildung und Ausbildung ist in den letzten Wochen und Monaten nicht geringer geworden. Ein Grund mehr, nicht länger zu säumen.