Nachhaltigkeitsstrategie als Erfolgsfaktor

Dies ist ein Gastbeitrag von Lukas Stratmann, Clara Herkenrath und Ruben Conrad vom FIR e.V. an der RWTH Aachen

Veränderte Kunden- und Mitarbeitererwartungen, verschärfte Regularien und steigender Druck von Geldgebern beeinflussen seit geraumer Zeit das unternehmerische Handeln und lassen viele Geschäftsführer rätseln, wie sie ihr Unternehmen klimaverträglicher führen können. Spätestens durch die Verabschiedung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele ist der Bewusstseinswandel, hin zu nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen, sowohl im privaten Umfeld als auch in der deutschen Wirtschaft angekommen. So achten heute bereits 50% der Verbraucher auf die soziale und ökologische Verantwortung des Herstellers beim Einkauf von Produkten (BUNDSCHUH ET AL. 2018). Gleichzeitig rückt für Unternehmen die Nachhaltigkeit ihrer Wertschöpfungskette in den Fokus, wie am Beispiel Volkswagen deutlich wird. Der Konzern hat ein weltweites Sustainability-Ranking für seine Lieferanten eingeführt, das im Vergabeprozess zunehmend eine Rolle spielen wird (VOLKSWAGEN AG 2019).

Um als Unternehmen auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein, dürfen Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht mehr als einfaches Lippenbekenntnis verstanden werden, sondern müssen als strategisches Ziel im Unternehmen verankert werden. Dazu bieten vier grundlegende Nachhaltigkeitsstrategien anhand bereits etablierter Modelle und Unternehmen einen Ausgangspunkt.

Die Unternehmensstrategie im gesellschaftlichen Wandel

Das Thema Nachhaltigkeit ist nicht neu – weder im B2C-Bereich, noch für die produzierende Industrie oder eine andere Branche in Deutschland. Allerdings steigt die Taktzahl, mit der Unternehmen über die Auswirkungen des Klimawandels auf ihr eigenes Wirtschaften konfrontiert werden:
Auch beim War for Talents, dem Ringen von Unternehmen um qualifiziertes Fachpersonal, gewinnt das Thema der Nachhaltigkeit eines Unternehmens an Relevanz. Auf dem Arbeitsmarkt gehören bei mehr als 50 Prozent der Bewerber*innen Klimaschutz und Nachhaltigkeit , neben Gehalt und Work-Life-Balance zu den Top-3-Kriterien bei der Auswahl eines neuen Arbeitgebers (HAUFE ONLINE REDAKTION 2020). Hinzu kommen kontinuierlich steigende Kundenanforderungen hinsichtlich des Klimaschutzes, die in Zukunft neben dem Preis Einfluss auf die Vergabe von Aufträgen haben werden, wie am Beispiel von VW und der öffentlichen Auftragsvergabe deutlich wird (VOLKSWAGEN AG 2019; BMWI 2021). Zur Deckung des Kundenbedarfs ist hier ist ein angepasstes Produktportfolio notwendig.

Strengere Regularien werden Produktion und Lieferkette zu einer nachhaltigen Wertschöpfung gemäß ökologischer, ökonomischer und sozialer Wertschöpfung treiben. Dazu werden erweiterte Kennzahlen wie die CO2-Bilanz von Produkten und die Einhaltung sozialer Standards in der Lieferkette eine Rolle spielen, wie das Lieferkettengesetz von Februar 2021 zeigt (BMZ 2021).

Auch in der Finanzindustrie gewinnen Nachhaltigkeitskriterien im Kontext des Sustainable Finance zunehmend an Bedeutung (DELOITTE 2020). In der Kreditvergabe, etwa für neue Produktionsanlagen und Investitionen, spielen schon heute neben Bonität und Return-on-Investment die Umweltauswirkungen eine wichtige Rolle (HANDELSBLATT 2020; MAISCH 2020). Gleichzeitig orientieren sich Anleger immer stärker an der Nachhaltigkeit ihrer Geldanlage (JALSOVEC 2021). Dies hat bereits heute Einfluss auf die Unternehmensbewertung und Kreditfähigkeit. Für börsennotierte Unternehmen werden nicht selten nachhaltige Kennzahlen gefordert und sind diese noch nicht vorhanden, ist eine Nachhaltigkeitsstrategie Pflicht. Der sich daraus ergebende Handlungsbedarf macht auch für den Finanzsektor an sich eine Wandlung hin zur nachhaltigen Geschäftsstrategie erforderlich.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum Unternehmen diesen absehbaren Wandel bisher nur bedingt vorangetrieben haben? Hier können mehrere Faktoren zusammenspielen, die eine klimafreundliche Unternehmensveränderung bremsen. In vielen Fällen fehlt schlichtweg die Expertise zur Identifikation von nachhaltigen Technologien und deren positiven Auswirkungen auf die Bilanz sowie den langfristigen Nutzen für das Unternehmen (WIRTSCHAFTSWOCHE 2016).Die erschwerte Aussicht auf den langfristigen Nutzen von nachhaltigkeitsfördernden Projekten kann dies verstärken. Sekundäre Effekte wie eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, die Innovationshöhe sowie die verbesserte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit lassen sich nur schwer quantifizieren und sind daher durch innovative Ansätze im Business Case zu berücksichtigen. Dabei gibt es bewährte Vorgehen, mit denen sich Unternehmen strategisch am Markt positionieren können.

Die Nachhaltigkeitsstrategien im Überblick

Der hier angewandte Ansatz des FIR an der RWTH Aachen verbindet den Market-Based-View (MBV) als externen Blick anhand der strategischen Positionierung von PORTER (2004) mit der internen Sicht des Resourced-Based-View (RBV) (BARNEY 1991). Nach Porter wird ein Wettbewerbsvorteil erreicht, indem man sich von der Konkurrenz entweder durch die Funktionsweise des Produktes oder die Kosten des Produktes absetzen kann. Nach dem RBV entstehen Wettbewerbsvorteile aus den Fähigkeiten eines Unternehmens, Ressourcen zu erwerben und zu verwalten. Aus Porters Ansatz ergeben sich die Wettbewerbsvorteile „Differenzierung“ und „Kostenführerschaft“, während sich aus dem RBV “Organisationale Prozesse“ und „Produkte & Dienstleistungen“ ergeben.
Angelehnt an diesen Ansatz lassen sich vier Nachhaltigkeitsstrategien identifizieren: Ökologischer Effizienzvorsitz, ökologische Prozessführerschaft, ökologischer Produktvorsitz und ökologische Kostenführerschaft.

Abbildung 1 Positionierungsmatrix der Nachhaltigkeitsstrategien

Ökologischer Effizienzvorsitz

Der ökologische Effizienzvorsitz beschreibt die möglichst verlustfreie Gestaltung von Wertschöpfungskette und Produktion. Durch die überwiegende Verankerung von Lean Prinzipien als Grundgedanke in Produktion und Wertschöpfungsketten, ist die strategische Differenzierung durch Ressourceneffizienz sehr schwierig. Aufgrund der jahrelangen Ausrichtung nach Economies of Scale wurde eine Überproduktion mit Überkapazitäten aufgebaut, die gemäß der Economies of Flow wieder reduziert werden muss, um ökologisch effizient arbeiten zu können. Ein Best-Practice-Beispiel liefert dabei Henkel. Mithilfe von Sensorik und Produktionsanpassung konnte die Overall Equipment Effectiveness (OEE) um 30% zwischen 2010 und 2020 gesteigert werden. Damit erzielte Henkel konzernweit Energieeinsparungen für 300.000 Haushalte (BOER ET AL. 2020). Henkel garantiert dabei heute die Einhaltung von westlichen Arbeitsstandards durch die Differenzierung von effektiver und lokaler Beschaffung von Produkten in der Wertschöpfungskette.

Ökologische Prozessführerschaft

Während in der Produktion die Effizienz konsequent gesteigert wird, bieten nachhaltige Investments die Möglichkeit, sich als ökologische Prozessführerschaft im Markt zu positionieren. Dazu sind sowohl organisationale Prozesse klimafreundlich zu gestalteten als auch ökologische Zertifizierungen in Betracht zu ziehen. Ein hohes Maß an Transparenz ist hierbei essenziell, beispielweise durch alternative Ansätze der gesellschaftsbezogenen Berichtserstattung (DIESCHE ET AL. 2019). VAUDE, deutscher Produzent von Bergbausportausrüstung, bietet ein charakteristisches Beispiel dazu, wie die Wertschöpfung durch den strategischen Fokus auf Supply Chain und Herstellungsprozesse ökologisch gestaltet werden kann (VAUDE 2021a). Durch das strukturierte Lieferantemanagement, das VAUDE Vendor Management, schafft VAUDE Transparenz für Geschäftspartner bei Vergabeprozessen und die Zusammenarbeit in den Bereichen Qualitätsmanagement, soziale Verantwortung und Umweltmanagement (VAUDE 2021b). Das Team Vendor Management ist dazu dauerhaft in den Produktionsbetrieben vor Ort angesiedelt.

Ökologischer Produktvorsitz

Der ökologische Produktvorsitz fokussiert die langfristig erfolgreiche und konsequente Ausrichtung des Portfolios auf nachhaltige Produkte. Dabei werden ökologische, nachhaltige und ressourcenschonende Produkte verkauft, die bisher Marktnischen besetzten. Der Lebensmittelhersteller Rügenwalder Mühle demonstriert dies seit dem Jahr 2014 eindrucksvoll mit der Erweiterung seines Produktportfolios um eine vegetarische Produktlinie. Nach einem rasanten Nachfrageanstieg machte das Familienunternehmen 2020 erstmals mit seinen veganen und vegetarischen Produkten mehr Umsatz als mit seinen Fleischhaltigen (TERPITZ 2020).

Ökologische Kostenführerschaft

Günstige und ökologische Produkte herzustellen sowie zu verkaufen gilt als schwierigste Nachhaltigkeitsstrategie. Hierbei bieten vor allem neue Technologien und Geschäftsmodelle die Möglichkeit, disruptive Veränderungen zu erwirken. Die Umsetzung ist damit eng an technischen Fortschritt und strategische Führung geknüpft. So richtet etwa der Versandhändler memo AG. Das sein Sortiment gezielt auf nachhaltige Produkte aus, die konventionellen Produkten im Preis-Leistungsverhältnis nicht nachstehen. Hierbei werden sowohl im internen Sortiment als auch im Hinblick auf die internen Beschaffungsprozesse, wesentliche Entscheidungen auf Basis ökonomischer, sozialer und ökologischer Gesichtspunkte getroffen.

Den langfristigen Unternehmenserfolg sichern

Die beschriebenen vier Nachhaltigkeitsstrategien eröffnen die Chance, ein Unternehmen strategisch hinsichtlich ökologischer Grundwerte auszurichten und auf die nächsten Jahrzehnte vorzubereiten. Der ökologische Effizienzvorsitz bietet einen Wettbewerbsvorteil durch effiziente Ressourcennutzung, die ökologische Prozessführerschaft verbessert die Unternehmensprozesse unter ökologischen Gesichtspunkten, der ökologische Produktvorsitz differenziert sich am Markt mit rein ökologischen Produkten und die ökologische Kostenführerschaft verbindet günstige und ökologische Produkte. Die Unternehmensneuausrichtung gibt damit den Anstoß, Nachhaltigkeitsbemühungen in das operative Tagesgeschäft zu integrieren und die Klimafreundlichkeit der Produkte und Dienstleistungen schrittweise auszubauen. Dabei unterstützt das FIR an der RWTH Aachen Unternehmen, die passende Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, Kunden und Mitarbeiterwünsche zukunftsgerichtet zu erfüllen und Klimaschutzziele in Geschäftsprozesse zu integrieren.

Über die Autoren

Ruben Conrad, M. Sc.

Bereichsleiter Business Transformation

Nach seinem Studium im Maschinenbau an der RWTH Aachen University und wirtschaftswissenschaftlichen Studien- sowie Praxisaufenthalten in Asien, Amerika und Europa begann Ruben Conrad als Projektmanager am FIR an der RWTH Aachen. Mit dem Ziel die bevorstehenden Wenden als Chancen nutzbar zu machen, unterstützt er heute als Leiter des Bereichs Business Transformation Unternehmen bei der strategischen Gestaltung neuer, nachhaltiger Wertschöpfungsmodelle und Führungssystemen.

Tel.: +49 241 47705-302

E-Mail: Ruben.Conrad@fir.rwth-aachen.de


Lukas Stratmann, M. Sc.

Projektmanager Business Transformation

Lukas Stratmann hat an der RWTH Aachen Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Maschinenbau studiert. Nach einer Station im Ausland begann er am FIR an der RWTH Aachen als Projektmanager und Doktorand für digitale und nachhaltige Transformationen. Dort unterstützt er Unternehmen dabei, Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln und die Möglichkeiten der Industrie 4.0 zu nutzen, um im wirtschaftlichen Umfeld ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Tel.: +49 241 47705-317

E-Mail: Lukas.Stratmann@fir.rwth-aachen.de


Clara Herkenrath, M. Sc.

Projektmanager Business Transformation

Clara Herkenrath hat an der RWTH Aachen Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fachrichtung Bauingenieurwesen studiert. Nach ihrem Studium und einiger praktischer Erfahrungen in der Baubranche ist sie heute am FIR an der RWTH Aachen als Projektmanagerin und Doktorandin für die digitale Transformation tätig. Dort unterstützt sie Unternehmen beim Aufbau organisationaler Transformationsfähigkeit durch die Entwicklung und Implementierung nachhaltiger transformationskompetenter Führungssysteme zur Sicherstellung des langfristigen Unternehmenserfolgs.

Tel.: +49 241 47705-303

E-Mail: Clara.Herkenrath@fir.rwth-aachen.de


Weitere Informationen unter:
https://www.fir.rwth-aachen.de/