Metakompetenzen für die digitale Welt

Das Zusammenspiel von Big Data, künstlicher Intelligenz und Vernetzung bewirkt, dass maschinelle Prozesse in das menschliche Hoheitsgebiet kognitiver Aufgaben vordringen. Warum Zukunft Angst dennoch nicht nötig ist und welche neuen Anforderungen an Mitarbeitende entstehen, berichtet Lorenz Berg, Head of Consulting Germany bei Aon’s Assessment Solutions im Gespräch mit der TREND-REPORT-Redaktion.

Herr Berg, worin sehen Sie die Unterschiede von New Work und Smart Work – was bedeutet Smart Work in Zukunft im HR-Bereich für Sie?

New Work ist ein älteres Konzept, welches von Frithjof Bergmann eingeführt wurde. Das Maß der Arbeit und die Sinnerfüllung in der Tätigkeit stehen dabei im Fokus. Das „Wie der Arbeit“ spielte dabei zwar auch immer eine Rolle, rückt aber beim Begriff „Smart Work deutlicher in den Vordergrund. Gerade jetzt in der Corona-Krise geht es viel stärker um das „Wie“. Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Welche Arbeitskonzepte setzen sich in einer post-corona Zeit durch? Sind es Hybridformate? Ist es doch wieder ein Return to Workplace? Werden alle nur noch aus dem Homeoffice oder von remote aus arbeiten? Welche Formen der Zusammenarbeit werden sich durchsetzen, wenn wir mehr Meetings im virtuellen Raum haben? Wie müssen sich Führungskonzepte weiterentwickeln? Stichwort: Führung aus Distanz oder virtuelle Führung. Wie sehen die Bürokonzepte der Zukunft aus, wenn man davon ausgeht, dass Menschen nur noch 50 Prozent ihrer Arbeitszeit im Büro sind und das Konzept des einzelnen Büros oder des festgelegten Schreibtisches obsolet wird? Wir brauchen mehr kollaborative Spaces, also Flächen, wo Menschen spontan oder geplant zusammenkommen können, um an gemeinsamen Ideen und Projekten zu erarbeiten.

Welchen Stellenwert nimmt in Zukunft das Thema Automatisierung ein?

Agilität, Neugier und Lernbereitschaft werden in der zukünftigen Arbeitswelt immer wichtiger, weiß Lorenz Berg.

Der wesentliche Schritt ist, dass sich Maschinen vernetzen und durch diese Vernetzung zusammen mit den Entwicklungen in den Bereichen Datenanalyse, Mustererkennung und künstlicher Intelligenz nun in der Lage bisher typischerweise von Menschen ausgeführte, also kognitive, Aufgaben zu übernehmen. Das hat massive Folgen für die Arbeit, und zwar nicht nur für manuelle Tätigkeiten. Die Dystopen sagen, menschliche Arbeit wird durch Maschinen ersetzt. Wir glauben, dass es mehr Zeit für neue Aufgaben geben wird, die entstehen werden. Neue Rollen entstehen dabei viel schneller als das früher der Fall war. Die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts hat einfach massiv zugenommen. Früher hielt eine berufsbezogene Rolle ein ganzes Leben, zukünftig vielleicht nur noch zwei oder drei Jahre. Man muss also immer schon überlegen, was ist der nächste Schritt und wie komme ich dahin? Wie muss ich mich weiterqualifizieren für meine nächste Rolle oder die Veränderungen in meinem jetzigen Job, um employable zu bleiben. Die Themen Re- und Up-skilling sowie lebenslanges Lernen werden dabei immer wichtiger.

Über welche neuen Skills und technologischen Fähigkeiten müssen die neuen Mitarbeitenden verfügen?

Durch Studien belegt ist, dass die Halbwertszeit von Wissen und Skills durch die Beschleunigung massiv abnimmt. Daher ist es nicht mehr so sinnvoll nach Wissen, Skills und Bildungsbiografie zu rekrutieren, sondern vielmehr nach dem Potenzial von Menschen sich an verändernde Rahmenbedingungen anzupassen. Metakompetenzen wie Neugier, Lernfähigkeit, und Agilität also Anpassungsfähigkeit sind daher wichtiger.

Was bedeutet heute virtuelles Recruiting für Sie und wie kann sichergestellt werden, dass neue Mitarbeitende über das oben genannte Skillset verfügen?

Das virtuelle Recruiting ist eine konsequente Weiterverfolgung der Digitalisierungsstrategie von Unternehmen, welche sich durch Corona massiv beschleunigt hat. Das komplette Recruiting kann virtualisiert werden. Also Anlegen der Bewerber, Online-Assessment, zeitversetztes Videointerview und die Virtualisierung von typischen Präsenzverfahren wie Assessmentcentern. Homeworker, Distant Worker und Clickworker können so besser angesprochen werden. Zudem kann ich, wenn ich bspw. in München sitze, Menschen breiter ansprechen, wenn diese nicht extra dorthin kommen müssen. Wenn ich dann auch noch virtuelle Arbeitsplätze anbiete, erschließe ich eine viel größere Gruppe an potenziellen Menschen, die bei mir arbeiten wollen. Wenn das virtuelle Recruiting und die virtuelle Zusammenarbeit funktionieren, ist das also auch eine Strategie, um auf den Fachkräftemangel zu reagieren.

Welche Möglichkeiten stehen heute zur Verfügung, um die Entwicklung der Mitarbeitenden stetig voranzutreiben und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Wir wissen, dass ein Fachkräftemangel am Markt besteht und wir gar nicht alle Softwareengineeringstellen besetzen können. Deswegen geht es vielmehr darum zu schauen, welches Potenzial ich in meiner Organisation habe und wie ich die Menschen aus ihren Rollen entsprechend ihrer Persönlichkeit und Interessen entwickeln kann, dass sie auch in fünf Jahren eine Rolle einnehmen, die für uns relevant ist. Da helfen Self-Assessments-Tools, also bspw. Persönlichkeitsfragebögen, kognitive Tests, Interessenfragebögen. Dann müssen formale Kriterien wie etwa der Bildungsabschluss überprüft werden, um festzustellen, ob die Möglichkeit eines Studiums in Betracht gezogen werden kann. Ganz oft stellt man dann fest, dass Menschen Interesse an Dingen haben, von denen sie das vorher noch gar nicht wussten. Ganz viele Menschen kennen einen bestimmten Job und denken, das ist genau das richtige für mich, dabei hat man gar keinen Überblick über die große Menge an verfügbaren Berufen oder Studiengängen. Man übersieht vielleicht etwas, das noch viel besser zu einem passt, weil man auf den Juristen festgelegt war oder man unbedingt BWL machen wollte.

Wie unterstützen Sie Ihre Kunden beim Online-Recruiting?

Wir können bei der kompletten Virtualisierung des Recruitings unterstützen. Dabei bieten wir über 70 verschiedene Testverfahren mit Onlinetests und Persönlichkeits-, Wert- und Motivfragebögen, über die man ein erstes Screening machen kann. Das kann man in die HR-Systeme der Unternehmen über APIs integrieren, um einen nahtlosen Workflow zu gewährleisten. Also Step 1: Ich bewerbe mich. Step 2: Ich bekomme sofort eine Einladung zum Online-Assessment, mach drei Tests und Persönlichkeitsfragebögen und die erste Auswahlrunde ist passé. In der zweiten Runde werde ich zu einem zeitversetzen Videointerview eingeladen. Zeitversetzt bedeutet, ich kann es öffnen, wann ich möchte und der Recruiter oder die Recruiterin kann bewerten, wann er möchte. Ich werde aufgezeichnet bei meinen Antworten und das Ganze wird in die Cloud hochgeladen und der Recruiter oder die Recruiterin schaut sich das Video an, wann immer es passt. Neben einer räumlichen Ungebundenheit bringen wir durch das Zeitversetzte auch eine Zeitungebundenheit rein. Wir maximieren die Flexibilität für beide Seiten. Der dritte Schritt könnte die Einladung zu einem virtuellen Assessment-Center sein, wo ich eine Selbstpräsentation habe, eine Casestudy bearbeite, eine Gruppendiskussion habe und ich dann noch in ein Liveinterview gehe. Und dann fällt die positive Entscheidung für einen Kandidaten, eine Kandidatin oder mehrere.

Wie können virtuelle Recruitings am besten das reale Bewerbungserlebnis nachempfinden oder abdecken?
Wir haben mit einem Kunden zusammen ein großes Developmentcenterprojekt gemacht. Wo wir den ersten Teil vor Corona in Präsenz durchgeführt haben und der zweite Teil ins virtuelle Assessment verlagert werden musste. Darüber haben wir dann eine Äquivalenzanalyse gemacht. Wir haben uns also angeschaut, ob es signifikante Unterschiede in der Bewertung der Kandidatengruppen gibt und haben keine Unterscheide festgestellt. 

Über welche Qualifikationen verfügen Ihre Mitarbeiter, die die Tests realisieren und auswerten?

Sowohl in der Produktentwicklung als auch im Beraterteam arbeiten bei uns Wirtschaftspsychologen oder Psychologen. Im Beraterteam sind oder werden Mitarbeitende im Verlauf des ersten Jahres über die DIN 33430 zertifiziert, die die Anforderungen für berufsbezogene Eignungsdiagnostik beschreibt.

Auf welcher Infrastruktur können Ihre Kunden das virtuelle Recruiting erleben?

Das ist eine Software-as-a-Service-Lösung. Das heißt, es reicht ein Internetzugang über einen Browser. Die meisten Tests und Fragebögen und das Videoassessment sind dabei auch auf mobilen Endgeräten verfügbar und es muss nichts installiert werden.

Inwieweit können Sie dabei den Datenschutz berücksichtigen?

Auf der einen Seite schließen wir mit allen Kunden sogenannte Auftragsdatenverarbeitungsverträge, worüber die Themen Datenschutz und Datenverarbeitung geregelt sind. Zudem haben wir als Unternehmen viele eigene Prozesse sowohl auf der organisatorischen als auch auf der technologischen Seite etabliert, um die Sicherheit der Daten zu gewährleisten.  Also die Themen IT-Infrastruktur, IT-Architektur und Sicherheit spielen eine große Rolle. Wir haben konkrete DSGVO-Prozesse installiert und haben externe Datenschutzbeauftragte. Wir sind sehr flexibel in den Einstellungen, so dass wir kundenspezifisch Anpassungen vornehmen können, wann die Daten gelöscht werden sollen.

 

„Wenn die Kandidaten nicht mehr zum Assessment vor Ort kommen, könnte man eine Virtual Reality bauen, die das Center vor Ort nachbaut. Man begibt sich also in das virtuelle Headquarter und kann dort in 3D mit den Menschen interagieren. Das ist nochmal ein anderes Erlebnis als über eine Teams-Konferenz, wie im Moment.“

 

Wo geht die Reise des virtuellen Recruitings in Zukunft in Deutschland hin? Welche Unterschiede können Sie bisher zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland ausmachen? Welche Rolle spielen dabei Automatisierung und KI?

Deutschland oder Europa hinken, was Digitalisierung und Aufgeschlossenheit für digitale Lösungen angeht, immer ein Bisschen hinterher. Wir können zum Beispiel sehen, dass unsere Tests in Deutschland und auch anderen europäischen Ländern größtenteils am Laptop oder Desktop-Computer durchgeführt werden, während in Asien und den USA die Mehrzahl der Tests per Smartphone absolviert werden. Das Thema Gamified Assessment spielt in anderen Ländern eine deutlich größere Rolle als das bei uns der Fall ist. Die Bereitschaft Innovationen anzunehmen ist in anderen Ländern höher, wobei die Digitalisierung in Europa durch Corona einen Schub bekommt. Das letzte, was wir entwickelt haben, war jetzt dieses Tool für das virtuelle Assessment und ich kann mir vorstellen, dass es dort irgendwann eine Weiterentwicklung Richtung Virtual Reality gibt und dort eben auch VR- oder AR-Komponenten eingebaut sein werden. Das ist auch für das Employer Branding interessant: Wenn die Kandidaten nicht mehr zum Assessment vor Ort kommen, könnte man eine Virtual Reality bauen, die das Center vor Ort nachbaut. Man begibt sich also in das virtuelle Headquarter und kann dort in 3D mit den Menschen interagieren. Das ist nochmal ein anderes Erlebnis als über eine Teams-Konferenz, wie im Moment. Das Thema künstliche Intelligenz wird sicher auch in unserem Bereich weiterentwickelt werden. Da gibt es jetzt schon Entwicklungen wie Chatbots, CV-Parsing und die semantische Analyse von Videocontent.

 

Weitere Informationen unter: assessment.aon.de

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