Low-Code-Limbo: Wo liegen die Grenzen der Vereinfachung?

Von Florian Binder*

Für Unternehmen, die ihre Digitalisierung vorantreiben wollen, ist Low-Code oft eine Offenbarung. Zu überschaubaren Kosten und in kurzer Zeit strukturieren sie ihre Vorgänge neu und automatisieren sie, verknüpfen Anwendungssilos für den Datenaustausch und erstellen Business-Apps, die Fachbereiche im Tagesgeschäft unterstützen – und das, ohne IT- und Entwicklungsabteilungen übermäßig zu binden. Die Experten aus den Fachbereichen setzen ihre Anforderungen mithilfe von visuellen Modellierungstools und vorgefertigten Software-Bausteinen einfach weitgehend selbst um, klassische Programmierkenntnisse benötigen sie dafür nicht.

Natürlich ist Low-Code nicht die Antwort auf alles, doch häufig bauen Unternehmen nur deshalb weiter auf klassische Entwicklungsprojekte, weil sie in alten Denkweisen feststecken oder nicht wissen, wie mächtig die Plattformen und Tools inzwischen sind. Dabei haben sich Fachanwender jahrzehntelang eine stärker auf sie zugeschnittene Entwicklung und eigene Anpassungsmöglichkeiten gewünscht – diese jetzt zu ignorieren, wo sie auf breiter Front bereitstehen und ihren enormen Nutzen vielfach bewiesen haben, ist schlicht fahrlässig.

Allerdings ist Low-Code nicht nur für Fachanwender toll, sondern auch für Software-Entwickler und IT-Spezialisten. Sie sind in den Projekten nicht außen vor und werden weiterhin gebraucht, etwa für Integrationen, Sicherheit, Datenschutz und Governance. Die Citizen Developer entlasten sie, sodass sie mehr Projekte begleiten und ihre Fähigkeiten zielgerichteter einsetzen können. Überdies kommen Entwickler in größeren Entwicklungsprojekten mit Low-Code ebenfalls schneller ans Ziel: Die Plattformen unterstützen sie dabei, Anwendungen flotter und komfortabler als bisher zu erstellen, inklusive der oft ungeliebten Dokumentation des Codes. Dadurch werden sie produktiver und können ihre Anwendungen agil anpassen, um Wünsche aus den Fachabteilungen zügig umzusetzen.

Florian Binder sieht Low Code Plattformen als wertvolle Unterstützung an – auch für die „Profis“.

Die Frage ist nun, wie weit sich die Entwicklung von Business-Applikationen noch vereinfachen lässt und ob das immer sinnvoll ist. Schließlich führt Low-Code nicht automatisch zu guten Anwendungen – die Citizen Developer brauchen Unterstützung durch erfahrene Entwickler, insbesondere bei den ersten Projekten. Zudem existieren bereits zahlreiche No-Code-Werkzeuge, die eine Entwicklung völlig ohne Code erlauben. Anders als bei Low-Code-Plattformen ist hier eine Anpassung oder Erweiterung durch Arbeit am Code überhaupt nicht mehr vorgesehen.

No-Code zeigt dann auch die aktuellen Grenzen der Vereinfachung sehr schön auf: Die Tools sind stark auf bestimmte Anwendungsfälle fokussiert, etwa das Erstellen einfacher Websites, Onlineshops, mobiler Apps oder von Umfragen und Formularen. Integrationsmöglichkeiten gibt es kaum, individuelle Anpassungen sind nur eingeschränkt möglich. Für Lösungen auf Abteilungsebene reicht das oft, für abteilungsübergreifende Lösungen nur selten – wirkliche Enterprise-Anwendungen kann man mit No-Code heute noch nicht bauen. Hier ist Low-Code besser geeignet, weil die Plattformen breiter aufgestellt sind und mehr Integrations- und Anpassungsmöglichkeiten bieten.

Während es bei No-Code also künftig vor allem darum geht, neue Anwendungsbereiche zu erschließen, steht bei Low-Code eher der funktionale Ausbau im Vordergrund. Um die Entwicklung noch effizienter zu machen, müssen mehr und mehr Funktionalitäten über visuelle Konfigurationen bereitstehen, die zuvor nur codebasiert möglich waren.

Für viele Anwendungsfälle und Einsatzbereiche haben No-Code und Low-Code bereits ein ausreichend einfaches Level erreicht. Die Herausforderungen für Unternehmen sind daher häufig eher organisatorischer Natur. Sie benötigen beispielsweise nicht nur Fachanwender, die die Weiterentwicklung von Business-Anwendungen vorantreiben wollen, sondern müssen diesen auch Freiheiten im Tagesgeschäft einräumen – für die Partizipation an den Low-Code-Projekten oder die neue Aufgaben als Citizen Developer. Manchmal müssen IT- und Entwicklungsabteilungen hingegen Fachanwender sogar einbremsen, weil sie mit der Integration und dem Support der neuen Plattformen nicht hinterherkommen. Aber dass die Tools so einfach sind, dass Fachbereiche sie bequem ausprobieren können, und die Mitarbeiter so engagiert sind, das auch zu tun – das ist dann eher ein Luxusproblem.

* Florian Binder ist Principal Solution Consultant bei Pegasystems

Weitere Informationen unter:
www.pega.com