Leuchtturm in der Kommunikations-Brandung

Ein Beitrag aus der Serie „Chronicles der Kommunikation

Von Alain Blaes*

Social Media und digitale Kommunikation – das heißt mehr Kanäle, mehr Interaktion, eine höhere Geschwindigkeit und ein immer verflochteneres Netzwerk. Sie fordern Nutzer und Unternehmen heraus, agil zu denken, Medien bewusst zu nutzen und Verantwortlichkeiten, Know-how und Prozesse strategisch neu aufzusetzen. Ein differenzierter Blick auf die Chancen und Risiken unserer Zeit.

Myriaden an blinkenden Lichtern und Werbereklamen, zehntausende Menschen, absolute Reizüberflutung. Shibuya Crossing in Tokio oder der Londoner Times Square sind wie analoge Spiegel des digitalen Zeitalters, pulsierend und niemals schlafend. Ebenso energetisch und inspirierend, wie sie auch schnell Überforderung oder Erschöpfung verursachen können. Gleiches gilt für die digitale Welt. Denn je mehr Plattformen genutzt werden, um Inhalte über den Globus zu schicken, umso mehr bedarf es eines bewussten und reflektierten Umgangs. Mentale Gesundheit und Digital Detox sind in den letzten Jahren zu heiß diskutierten Themen geworden, die vor allem eins zeigen: einem exponentiellen Wachstum von Content und Zirkulationsgeschwindigkeit ist die menschliche Psyche auf Dauer nicht gewachsen. Wenn mediale Botschaften in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Raums zu jeder Zeit verfügbar sind, müssen Nutzer und Nutzerinnen selbst bewusst wählen, welches Medium oder welcher Kanal am besten zu ihren Bedürfnissen passt. Genau diese digitale Souveränität macht es möglich, digitale Tools als Werkzeuge zu nutzen und nicht selbst zum Junkie der Technik degradiert zu werden.

Auch in der Unternehmenskommunikation sieht man sich Jahr für Jahr mit mehr Stellschrauben und Hebelchen konfrontiert, die bedient werden wollen. Die theoretische Folge dieser Entwicklung ist einfach auf den Punkt zu bringen: Es wird immer wichtiger, eine zielgerichtete Unternehmensstrategie zu entwickeln. Die Umsetzung ist oft mit vielen Hürden und Unsicherheiten verbunden, Plattform-Hopping ist ebenso wenig sinnvoll, wie der Versuch, jedem Trend hinterherzulaufen. Gerade aus organisatorischer Perspektive ist die Vielzahl an Kommunikationswegen eine echte Herausforderung für Unternehmen: da gibt es die Marketingabteilung, die Sales-Abteilung, die PR-Abteilung, die Social-Media-Abteilung und vieles mehr. Was sie miteinander verbindet, ist das Thema Kommunikation, was sie trennt sind Silo-Denken, Systeme und Organisationsstruktur. Und hier liegt oft der Hase im Pfeffer. Denn wie soll eine gemeinsame Kommunikationsagenda entwickelt werden, wenn das kurzfristige Primärinteresse jeder Abteilung darin besteht, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen?


Um siloartigen Kommunikations-Inseln entgegenzuwirken, kann beispielsweise ein Chief Communication Officer eingesetzt werden. (Quelle: PR-COM)

Kommunikation agil und ganzheitlich führen

In BWL-Lehrbüchern ist die Unternehmensorganisation oft eine ziemlich einfache Angelegenheit, in der Praxis sieht es anders aus. Anforderungen wie eben der Kommunikationswandel, oder auch die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit lassen sich nicht in abgeschotteten Abteilungen bearbeiten und lösen. Sie erfordern vielmehr eine gesamtunternehmerische Perspektive und Zusammenarbeit. Denn ein nachhaltiges Unternehmen entsteht nicht durch die Einrichtung einer Nachhaltigkeitsabteilung, sondern indem abteilungsübergreifende Veränderungen umgesetzt werden.

Das stetige Mehr an Kanälen und die Echtzeit-Anforderungen von sozialen und digitalen Netzwerken können zur Entwicklung von siloartigen Kommunikations-Inseln führen. Um dem entgegenzuwirken, sollten Unternehmen den Wandel dazu nutzen, ihre internen Prozesse agil zu hinterfragen. Organisatorisch kann das beispielsweise durch Positionen wie einen Chief Communication Officer umgesetzt werden, der die Kommunikation in das C-Level-Management eines Unternehmens trägt und wie ein Leuchtturm den Überblick über die wogende Kommunikation behält. Das vereinfacht die Entscheidungsfindung und sorgt für eine abteilungsübergreifende Verbindung.

Wenn das gelingt, können Fachabteilungen im Fall der Fälle schnell in den Kommunikationsprozess eingebunden werden. Entbrennt beispielsweise auf Instagram eine Nachhaltigkeitsdiskussion um ein Produkt, kann die Kommunikationsabteilung schnell auf das Fachwissen aus der Produktentwicklung oder der Nachhaltigkeitsabteilung zurückgreifen. Nichts ist schlimmer, als nicht-sprechfähig zu sein, weil Informationen fehlen oder Abstimmungsprozesse nicht agil funktionieren. Gerade in der Krisenkommunikation ist Zeit oft der entscheidende Faktor, um einer exponentiellen Ausbreitung von negativer PR oder Fake News entgegentreten zu können. Und auch aus Perspektive der Corporate Identity ist es ein klares Win-Win, wenn das Unternehmen nach Außen mit einer Stimme auftritt.


Alain Blaes: „Nichts ist schlimmer, als nicht-sprechfähig zu sein, weil Informationen fehlen oder Abstimmungsprozesse nicht agil funktionieren.“

Die Story ist das Verkaufsargument: nicht das Produkt

In Hochtechnologiemärkten sind Forschungs- und Entwicklungskosten signifikant höher als in Märkten für technologisch einfachere Produkte. Kostenintensive Nischenentwicklungen sind daher in Industrie- und IT-Bereichen betriebswirtschaftlich meist weniger attraktiv, als die Herangehensweise, erfolgreiche Trends zu ermitteln und Technologien zu imitieren oder mit Patentlizenzen zu produzieren. Diese Entwicklung trägt zunehmend dazu bei, dass Produkte im Bereich der Industrie oder IT schnell Nachahmer finden. Für Kunden sinkt in der Folge die Bindung zu einer Marke, da Alternativen mit ähnlichen Produkteigenschaften und vergleichbarer Qualität vorhanden sind – es sei denn die Kundenbindung wird auf anderem Wege herstellt.

Das Storytelling um die Marke und ihre Produkte ist im digitalen Zeitalter der Schlüssel für die Kundenbindung. Es sollte konsistent betrieben werden, egal welcher Kanal zum Einsatz kommt oder wie kommuniziert wird. Dann lässt sich jede Produktstory, egal ob es um Nachhaltigkeit oder Lifestyle geht, nahtlos in die Customer Journey einfügen. Und hier klafft – trotz gestiegenen Bewusstseins immer noch eine Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit auf. Schon 2017 zeigte eine Adobe-Studie, dass zwei Drittel der deutschen Verbraucher markentreu Produkte auswählten, wenn das Kundenerlebnis ihre Bedürfnisse und Vorlieben berücksichtigte. Nach aktuellen Zahlen des i-CEM sahen aus Kundensicht jedoch 69 Prozent der befragten Unternehmen noch deutliche Verbesserungspotenziale.

Erfolgreich zu kommunizieren ist damit nicht nur ein Schönwetter-Aspekt, sondern ein harter Wettbewerbsfaktor. Nur wem es gelingt, das Storytelling mit Blick auf seine Zielgruppe zu perfektionieren, wird langfristig – so die üblichen Parameter wie Qualität oder Stand der Technik eingehalten werden – erfolgreich sein. Das gilt basierend auf dem Gedanken der Customer Journey für alle Touchpoints zwischen Unternehmen und Mensch – ganz gleich ob es um Produkte, Kunden, oder Mitarbeiterinnen geht. Aus Sicht der Kommunikations-Professionals Werbetreibenden hat das Goldene Zeitalter hier gerade erst begonnen: Social Media Marketing und andere Formen des modernen Dialogmarketing entpuppen sich als paradiesische Möglichkeit der individuellen, kundenzentrierten Kommunikation und Werbung. Was wird da erst passieren, wenn sich Marketingkommunikation KI-gestützt vollständig auf uns abstimmen lässt? Verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität? Ja, wagen wir den Blick in die Zukunft – doch dazu mehr im dritten Teil.

* Alain Blaes ist CEO von PR-COM


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Foto von Anthony Rosset auf Unsplash


Alle Teile im Überblick

Goldgräberstimmung im KI-Zeitalter

Vom Mythos in die Realität – die Entwicklungsschritte, die Künstliche Intelligenz in den letzten Jahren gemacht hat, sind gewaltig. Wie werden sie die Welt der Kommunikation in den nächsten Jahrzehnten verändern? Dieser Text ist eine Reise in die Utopie der Zukunft, in hybride Lebenswelten, Wahrheitsdiskurse, Goldgräberstimmung und die Frage wegweisender Regulierung.

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Social Media und digitale Kommunikation – das heißt mehr Kanäle, mehr Interaktion, eine höhere Geschwindigkeit und ein immer verflochteneres Netzwerk. Sie fordern Nutzer und Unternehmen heraus, agil zu denken, Medien bewusst zu nutzen und Verantwortlichkeiten, Know-how und Prozesse strategisch neu aufzusetzen. Ein differenzierter Blick auf die Chancen und Risiken unserer Zeit.

Auf der Einbahnstraße nach Shibuya

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