Martin Rothhaar, elaboratum

„Kunden denken nicht in Kanälen“

Interview mit Martin Rothhaar, Managing Partner der E-Commerce- und Cross-Channel-Beratung elaboratum, anlässlich der Fragestellung, wie Unternehmen mit „dem informierten und umfassend vernetzten Kunden umgehen“.

Was richtet der digitale Wandel im Unternehmen an?
Der digitale Wandel wirkt sich auf alle Teile eines Unternehmens aus. Auch Bereiche, von denen man es zunächst nicht erwartet, sind betroffen. Die Unternehmen werden mit einer neuen Form des Kunden konfrontiert: dem umfassend informierten Kunden. Dieser weiß über angebotene Produkte bereits bestens Bescheid. Ihm muss entsprechende Transparenz geboten werden. Unternehmen müssen daher künftig viel stärker auf Kundenorientierung fokussieren. Produkte und Services können nicht mehr als reine Push-Angebote auf den Markt gebracht werden. Im Zentrum steht die Frage: „Was will der Kunde?“ Eine konsequente Kundenzentrierung bedeutet auch, dass Prozesse und Angebote zukünftig kanalübergreifend gedacht und umgesetzt werden müssen. Kunden denken nicht „in Kanälen“, sondern in Marken und Anbietern. Der Kunde will nicht überlegen, über welchen Kommunikationskanal er wann mit einer Marke oder einem Unternehmen interagieren sollte. Dies müssen die Unternehmen verstehen und die eigenen Geschäftsmodelle, Prozesse und Angebote entsprechend ausrichten.

Wie gehen Unternehmen mit den Herausforderungen um, generieren digitale Prozesse und definieren ihren „digitalen Reifegrad“?
Besonders erfolgreich im Umgang mit den Herausforderungen des digitalen Wandels sind die Unternehmen, bei denen das Umdenken von ganz oben stattfindet. Die Unternehmensführung muss den Wandel verstehen, initiieren, vorantreiben und bedingungslos unterstützen. Problematisch wird es für Unternehmen, die komplett in alten Denkstrukturen verharren oder neue Geschäftsfelder wie z. B. E-Commerce oder Cross-Channel-Commerce „nur nebenher“ betreiben. In diesen Fällen werden die Herausforderungen nicht vollständig erkannt. Entsprechend kann auch nicht erfolgreich mit ihnen umgegangen werden. Die Digitalisierung muss von der Führung her in die Unternehmen getragen und zu ihrem Kern werden. Prozesse sind völlig neu zu denken. Der Weg zu einer sogenannten „e-driven Company“ ist häufig eine große Herausforderung.

Wie können Unternehmen die digitale Transformation in ihre Geschäftsprozesse integrieren?
Change-Prozesse lassen sich schwer ohne professionelle Begleitung durchführen. Die Unternehmensführung kann ihrem Team keinen digitalen Wandel verordnen. Vielmehr muss sie aufklären, Wissen generieren, überzeugen und die digitale Transformation als Chance verständlich machen. Letztlich sind auch die Innovationsfähigkeit und Geschwindigkeit, mit der neue Ideen umgesetzt werden, von entscheidender Bedeutung. Start-ups, aber auch Branchengrößen wie Google, machen vor, wie man als Unternehmen agil agieren kann: Testballons steigen lassen, um die generelle Akzeptanz der Ideen abzutasten. Konzepte müssen vor der ersten Veröffentlichung nicht schon den allerletzten Feinschliff haben. Schnell sein, viel und früh testen. Und bereit sein, Fehler zu machen. Nur so lässt sich umgehend herausfinden, welche Innovationen sich bei den Kunden und am Markt durchsetzen und was dauerhafte Wettbewerbsvorteile verschafft.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Meilensteine, die Unternehmen erreichen müssen in Bezug auf digitalen Wandel und New Commerce?
Der erste und zugleich wichtigste Meilenstein ist die richtige Einstellung gegenüber dem digitalen Wandel. Der Wille zu Change-Prozessen im Unternehmen ist entscheidend. Doch auch die Infrastruktur und Systeme müssen angepasst und auf neue Technologien umgerüstet werden. Schlagwörter sind hier z. B. State-of-the-Art-ERP-Systeme und 360° CRM, die umfassende Sicht auf Kundendaten. Auch ein Umdenken in der Prozessgestaltung ist unabdingbar. Damit gegebenenfalls einhergehende Investitionen müssen in Kauf genommen werden. Wer beispielsweise wie im klassischen Versandhandel noch ein maximal kostenoptimiertes Logistiksystem betreibt, wird gegenüber Anbietern mit kundenorientierter Lösung und marktadäquater Versandgeschwindigkeit künftig zurückstehen. Grundsätzlich gilt es, rechtzeitig zu erkennen, welche Funktionalitäten und Services sich bei den Kunden als De-Facto-Standard durchsetzen. Hierbei spielen in vielen Fällen die großen Pure Player eine wichtige Rolle. Diese gestalten den Markt und setzen Standards. Andere Unternehmen müssen sich anpassen. Exemplarisch genannt seien hier die Optimierung digitaler Angebote für mobile Endgeräte, Track & Trace im Versandprozess oder auch vermeintlich einfache Prozesse wie eine unkomplizierte Retourenabwicklung.

Was sind neue Felder, die Wachstum und Arbeitsplätze in den kommenden Jahren versprechen?
Unternehmen sind zukünftig auf die Zusammenarbeit mit E-Commerce-Experten angewiesen, die den Handel in all seinen Facetten verstehen und Wissensaufbau zum Handel im Wandel leisten können. Besonders gute Aussichten können Unternehmen haben, die in Nischen drängen, in denen bisher eine zukunftsträchtige Entwicklung verschlafen wurde. Cross-Channel ist hier das Schlagwort. Reiner E-Commerce war gestern. Wir befinden uns in einem klassischen Hype-Zyklus, der langsam aber sicher seinen Höhepunkt überschreitet. Nach der „Ernüchterung“ – in manchen Bereichen spricht man schon heute von „Digital Detox“ – werden digitale Angebote für den Kunden zur Normalität. Sie werden dann nur als eine von vielen Zugangsmöglichkeiten wahrgenommen. Die sinnvolle Verknüpfung all dieser Kanäle, die einem Unternehmen zur Kundenansprache und zum Verkauf zur Verfügung stehen, wurde bisher kaum geleistet. Die Kunden möchten in Zukunft jedoch ein umfassendes Einkaufserlebnis erfahren. Online-Bestellung ist dabei nur noch ein Baustein. Beratung, Produktansicht und Instore-Services werden wieder an Bedeutung gewinnen. Wer die Kanäle sinnvoll verknüpft und Features wie Click & Collect oder einen nahtlosen Lieferservice aus dem Store heraus anbietet, wird die Nase vorn haben.

Weitere Informationen unter:
www.elaboratum.de