Kräftemessen der Marken im Web3

Das Metaverse wird das Verhältnis zwischen Marken, Konsumenten und Wettbewerb radikal verändern. Besser, man versteht die neuen Mechanismen der Markenkommunikation

Von Désirée Bambynek

Ganze 123 Studien und Forecasts wurden in den vergangenen zwei Monaten in der anglo-amerikanischen Welt veröffentlicht. Mehr als 40 von diesen sprechen die Marketing- und Kommunikationsbranche direkt an. Es geht dort unter den vielen Szenarios und Vorhersagen immer um einen Mega-Trend, der zugleich Auslöser und Bewegung darstellt: Nämlich die Idee eines dezentralen, nutzer-kontrollierten digitalen Ökosystems, oder Internets – die nächste Entwicklung des World Wide Web auf der Grundlage der Blockchain, die Konzepte wie Dezentralisierung und Token-basierte Ökonomie umfasst. Dieses Web3 stellt nicht nur eine technologische Wende dar, sondern schlägt Wellen bis in die Markenwelt. Früher oder später werden sie sich dieser neuen Realität stellen müssen. Die Frage ist dann nicht ob, sondern wann sich Marken von ihren sorgfältig kreierten, statischen Markenwelten lösen werden.

Zuerst gilt es zu verstehen, dass Web3 eine nahtlose Evolution von Social Media ist und der Möglichkeit, Nutzer miteinander und mit Marken im digitalen Raum interagieren zu lassen. Das ehemals statische Internet wird fluide und zum Ort des Austausches. Die Creator Economy bringt Nutzer auf Augenhöhe mit Marken und Persönlichkeiten und ermöglicht es, sich gegenseitig zu inspirieren. Marken orchestrieren gekonnt „Experiences“ und sind Herrscher ihrer Markenwelten, Nutzer sind stark umkämpfte Besucher dieser Welten.

Indes verschwimmen mit Web3 die Rollen der Beteiligten – Unternehmen wie Nutzer. Die Marke ist nicht mehr bestimmend. Stattdessen übernehmen Blockchain, NFT, DAO oder Metaverse die Deutungshoheit. Wer heute eine Marke verantwortet, muss auf die “Macht der Vielen” Rücksicht nehmen. Vor allem müssen sich Markenverantwortliche öffnen, quasi kollaborativ mit ihren Kunden das wertvolle Marken-Ökosystem zu hegen und zu pflegen.

Je nach Standpunkt wird Web3, Metaverse und “Experience Economy” entweder von disruptiver Dezentralisierung, Kontrollverlust und noch mehr Unsicherheit geprägt sein – oder von wertschöpfender Kreativität, Neo-Glokalisierung und großem Innovationspotenzial.

Markenverantwortliche können sich in diese neue Welt auf drei Weisen vortasten:

  1. Marken-“Flexing”. Wer kontinuierlich in sein Markenfundament investiert hat, erntet jetzt die Früchte. Klar kommunizierte und gelebte Markenwerte, eine starke Unternehmenskultur und ein unternehmensweit verstandener Purpose gehören dazu. Marken, die innerhalb der eigenen Organisation ein starkes Selbstverständnis haben, können Entscheidungen zielsicherer treffen, Fan-Kreativität fördern und so ihre Stärke beweisen.

    Für breit-gestreute Organisationen ist das doppelt relevant, denn je klarer die eigene Markenidentität und -strategie sind, desto mehr Entscheidungsfreiraum kann in regionale und lokale Märkte gegeben werden. Dank lokaler und oft kulturell gefärbter Insights sind lokale Teams dann in der Lage, mehr Relevanz in ihren Zielgruppen erzeugen. Dies setzt voraus, dass es bestimmte Freiräume gibt, die es den Teams erlaubt, diese Insights auch in Markenaktivitäten oder Programme umzusetzen. Das ist nicht nur wichtig für die alt-bekannte “Nahbarkeit”, sondern auch für den Markenwert, den der Kunde mit der Marke verbindet.

    Im Umkehrschluss: die Praxis der zentral-gesteuerten Markenführung muss überdacht werden. Governance und Steuerung sollten zugunsten Enablement und neuen Freiräumen neu interpretiert werden. Das hat Auswirkungen auf Organisation, Planung und Budget – und ist eine Disruption in sich selbst.
  1. Kulturschmieden. Für Marken ist das Verstehen, Kontextualisieren und Teilhaben an unterschiedlichen Kulturen erfolgsrelevant. Dabei kann es sich sowohl um geographisch- oder gruppenbezogene Kulturaspekte, als auch um nationale Kulturen und Subkulturen handeln. In China etwa ist Kultur so vielschichtig und markenrelevant, dass eine neue Sparte entstanden ist: Culture Opinion Leaders (COLs) sind die Weiterentwicklung der bekannten Key Opinion Leaders (KOLs), weil sie genau die besondere Bedeutung von Kultur verdeutlichen, sei es in lokaler oder digitaler Form. COLs sind mehr als nur kulturelle Meinungsmacher. Sie prägen und gestalten ganze Markenerlebnisse mit, eröffnen dabei neue Konsumentengruppen und diversifizieren die Markenlandschaft. Die Marke wird kulturrelevant und hebt sich über die Produktebene. Wichtig ist es dabei, Kultur als Markenauftrag zu verstehen, nicht als Marketingzweck. Kunden haben Markenkultur schon immer ein stückweit mitgeprägt. Nun kann es sein, dass “Kultur” an der Marke vorbei geschieht, weil Kunden in eigen kuratierten Welten zusammenkommen, was im Gaming-Bereich deutlich zu sehen ist.
  2. Community 3.0. In der Welt von Marken gilt die Community als ernstzunehmende Investition. Ressourcenintensiv wird nach Themen gesucht, Redaktionspläne erstellt und Teams auf Trab gehalten. Nur: warum? Die Marke ist Plattform, Gastgeber, Moderator und Referent zugleich. Hier kann Web3, dessen grundlegende Idee das Konzept von Vertrauen und Peer-to-Peer-Networks ist, sogar unterstützen. Konkret heißt das: die Marke ist nicht mehr nur Gastgeber, sondern inspirierende “Muse”. Wenige Modemarken haben das bereits erkannt und sich vom “driver’s seat” gelöst: Sie stoßen auf kreative Inszenierungen oder Ideen ihrer Fans und setzen diese direkt mit ihnen um. Das Prinzip ist auch auf andere Industrien übertragbar.

Egal wie die weitere Reise aussehen mag, Marken müssen die Exploration von innen heraus treiben, statt von außen getrieben zu werden. Wenn wir eines vom Mobile-First-Boom, der eCommerce-Euphorie oder dem Follower-Wettlauf gelernt haben, ist es dies: wir müssen eine gesunde Mischung zwischen First-Mover-Energie und bewusstem Brand-Trend-Fit finden. Eines zeichnet sich aber jetzt schon ab: Web3 hat noch viel Potenzial zur Entfaltung. Wie kreativ und experimentierfreudig die eigene Marke hier vorgeht, hat jeder selbst in der Hand. Mit Web3 fängt auch ein neues Zeitalter der Kreativität an.


Creative Commons Lizenz CC BY-ND 4.0

Sie dürfen:

Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten.


Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine Bearbeitungen — Wenn Sie das Material remixen, verändern oder darauf anderweitig direkt aufbauen, dürfen Sie die bearbeitete Fassung des Materials nicht verbreiten.