Die Personalauswahl gehört zu den wichtigsten Investitionsentscheidungen eines jeden Unternehmens. Seit mehr als 50 Jahren beschäftigt sich die Psychologie in der Forschung mit der Frage, wie gute Personalauswahlverfahren gestaltet sein müssen. Pro Jahr erscheinen inzwischen mehr als 800 wissenschaftliche Publikationen rund um dieses Thema. Ein Blick in die Praxis zeigt allerdings, dass die meisten der gewonnenen Erkenntnisse hier nicht einmal ansatzweise umgesetzt werden (Kanning, 2015). 

Die wenigsten Unternehmen haben in ihrer Personalabteilung ausgebildete Diagnostiker. In einem solchen Markt ist es vergleichsweise einfach auch wertlose Methoden erfolgreich zu vertreiben. Seit wenigen Jahren sind Themen wie „Big Data“, „künstliche Intelligenz“ oder „Digitalisierung“ in Mode gekommen. Die Anbieter entsprechender Technologie befinden sich in einer Art Goldgräberstimmung. Man bietet völlig undurchsichtige Instrumente an und kann blind davon ausgehen, dass die Kunden sich in der Materie noch weniger auskennen, als die Berater, die ihnen die Produkte verkaufen.

Die Bandbreite der Produkte ist sehr groß. Manche Anbieter schicken ihre Computerprogramme los, um in den sozialen Medien selbstständig nach geeigneten Bewerbern zu suchen. Andere analysieren die geschriebene Sprache der Bewerber, indem sie eine Software über das Anschreiben laufen lassen. Deutlich komplexer ist da schon der Ansatz, mit Interviews zu arbeiten. Hierbei werden den Bewerbern z. B. belanglose Fragen gestellt, ehe eine Software analysiert, welche Worte, wie häufig, in welcher Betonung etc. gesprochen wurden und hieraus Persönlichkeitsprofile erstellt. Wem dies nicht reicht, der nutzt die Software eines amerikanischen Anbieters, die nicht nur die Sprache, sondern gleich auch das Aussehen, die Mimik u.ä. deutet. Zu guter Letzt gibt es erste Anbieter, die den Computer Einstellungsinterviews komplett allein führen lassen, wobei der Rechner nicht nur die Fragen stellt, sondern auch gleich die Antworten interpretiert. Schauen wir uns im Folgenden die Probleme der einzelnen Ansätze an.

Aussagekraft von Informationen aus sozialen Netzwerken

Soziale Netzwerke liefern Informationen über verschiedene berufsbiografische Fakten aber auch über private Aktivitäten. Seit Jahren zeigt die Forschung, dass biografische Fakten nur sehr eingeschränkt zur Personalauswahl geeignet sind (Kanning, 2018a). Freizeitaktivitäten verraten ebenso wenig über die Persönlichkeit eines Menschen wie Lücken im Lebenslauf. Die Dauer der Führungserfahrung sagt nichts über deren Qualität. Die Länge der Berufserfahrung steht zu gerade einmal 7 % in einem systematischen Zusammenhang zur Qualität der beruflichen Leistung. Deutlich anders sieht es aus, wenn wir uns die Vielfalt und Inhalte der Erfahrungen anschauen. Die stellenspezifische Interpretation der Erfahrungsvielfalt dürfte allerdings durch einen Computer kaum kostengünstig möglich sein.

Deutung von Anschreiben

Die Deutung von Anschreiben durch den Computer läuft komplett ins Leere. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass heute zwei Drittel der Bewerber ihre Anschreiben nicht mehr selbst formulieren (Kanning, 2017). Wenn die überwiegende Mehrheit der Bewerber mit vorgestanzten Vorlagen arbeitet, die nur noch geringfügig überarbeitet werden, kann das Anschreiben nichts mehr über einzelne Menschen aussagen. Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, ob die Gestaltung von Bewerbungsunterlagen (Tippfehler, Darstellung eigener Stärken, Bewerbungsgründe etc.) etwas über die Persönlichkeit von Bewerbern verrät, kommen folgerichtig auch zu negativen Befunden (Kanning, Budde & Hüllskötter, 2018).

Deutung von Physiognomie und Mimik

In der Physiognomie eines Menschen stecken keine Informationen, die Auskunft über seine berufliche Eignung geben könnten. Die Mimik verrät etwas über aktuelle Gefühlszustände. Dies ist etwas völlig anderes als die Aussage über Eigenschaften, die für den Beruf von Bedeutung sein könnten. Schon aus diesen Gründen ist eine Deutung von Physiognomie und Mimik durch den Computer völlig sinnlos.

Deutung der gesprochenen Sprache

Studien, die untersuchen, inwieweit in der Sprache eines Menschen Hinweise auf dessen Persönlichkeit zu finden sind, zeigen durchaus positive Befunde. Die Zusammenhänge sind jedoch so gering, dass sie sich nicht zur Personalauswahl eignen. Die wissenschaftlich belegten Zusammenhänge sind deutlich geringer, als die Zusammenhänge, die von Anbietern entsprechender Softwarelösungen verbreitet werden. Doch selbst wenn die Angaben der Anbieter stimmen, ergibt sich ein ganz anderes Problem (Kanning, 2018b): Nehmen wir einmal an, die Sprache wäre in der Lage zu 50 % die Gewissenhaftigkeit eines Menschen zu erklären. Nun stellt sich die Frage, wie wichtig die Gewissenhaftigkeit für die spätere berufliche Leistung ist. Ein Blick in die Forschung zeigt, dass dies im Durchschnitt nur zu etwa 5 % der Fall ist. Mit anderen Worten, die Sprachanalyse wäre in der Lage, über die Deutung der Gewissenhaftigkeit zu bestenfalls 2,5 % die berufliche Leistung zu prognostizieren. Dies ist absurd wenig. Ein herkömmlicher Intelligenztest wäre um den Faktor 10 besser.

Das vielleicht wichtigste Problem des Einsatzes künstlicher Intelligenz besteht jedoch im „Black-Box-Prinzip“.

Durchführung von Interviews durch den Computer

Einstellungsinterviews werden nachweislich umso aussagekräftiger, je stärker sie einen engen Bezug zu den Anforderungen des Arbeitsplatzes herstellen. Die Grundlage eines guten Einstellungsinterviews bildet daher eine stellenspezifische Anforderungsanalyse. Aus dieser Anfangsanalyse werden die zu untersuchenden Kompetenzen abgeleitet. Die später im Interview zu stellenden Fragen beziehen sich auf Situationen aus dem Berufsfeld und die Antworten werden vor dem Hintergrund der Anforderungsanalyse bewertet. Auch hier stößt der Computer an seine Grenzen, weil er beispielsweise nur Standardfragen stellen kann und die Antworten nicht stellenspezifisch auswertet.

Jenseits dieser Probleme der einzelnen Ansätze gibt es auch einige grundlegende Probleme. Dies gilt zum Beispiel für die fragwürdige Ethik der Methoden. Zum einen ist es nicht akzeptabel, dass der Computer Daten verarbeitet, die von den Bewerbern nicht hierfür freigegeben wurden (z. B. Einträge in sozialen Netzwerken), zum anderen besteht die Gefahr, dass Computeralgorithmen zur systematischen Diskriminierung beitragen, indem sie z. B. Menschen, die einen bestimmten Akzent sprechen, negativ bewerten.

Auch juristisch ist der Einsatz der künstlichen Intelligenz keineswegs unproblematisch. Der Gesetzgeber verbietet die wahllose Sammlung von Informationen, die letztlich keinen Bezug zur beruflichen Leistung aufweisen. Darüber hinaus ist es nicht zulässig, Auswahlentscheidungen allein von einem Computer treffen zu lassen.

Erste bislang noch nicht veröffentlichte Studien zeigen überdies, dass der Einsatz der künstlichen Intelligenz dem Ansehen des Unternehmens in den Augen der Bewerber schadet. Dies ist insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels mehr als bedenklich. Viele Unternehmen bemühen sich heute in besonderer Weise darum, ein positives Bild von sich zu zeichnen. Der Einsatz der künstlichen Intelligenz konterkariert diese Bemühungen.

Das vielleicht wichtigste Problem des Einsatzes künstlicher Intelligenz besteht jedoch im „Black-Box-Prinzip“. Die Anwender erfahren nicht, welche Daten wie zu einem Ergebnis integriert werden und welche statistischen Kennwerte (Messgenauigkeit, Stabilität, Validität etc.) die Verfahren aufweisen. Es ist ihnen daher nicht möglich, die Qualität der Methoden objektiviert einzuschätzen. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es auch der Forschung nicht möglich ist, die einzelnen Angebote kritisch zu hinterfragen, da die verwendeten Algorithmen geheim gehalten werden.

Fazit

Alles in allem spricht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts dafür, sich in der Personalauswahl der künstlichen Intelligenz zu bedienen. Unternehmen, die professionell arbeiten wollen, wären viel besser beraten, ihre bestehenden Methoden vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zu optimieren.

Die Zukunft wird zeigen, ob es seriöse Methoden geben wird. Wahrscheinlich benötigen wir eine Art „Diagnostik-TÜV“, der dabei hilft, die guten von den schlechten Produkten zu unterscheiden.

Unser Autor

Prof. Dr. Uwe Peter Kanning; Jg. 1966, Studium der Psychologie in Münster.
Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück.
Autor und Herausgeber von mehr als 30 Fachbüchern und Testverfahren.
Arbeitsschwerpunkte: Personaldiagnostik und fragwürdige Methoden der Personalarbeit.

Literatur

Kanning, U. P. (2015). Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Eine wirtschaftspsychologische Analyse. Berlin: Springer.

Kanning, U. P. (2017). Strategisches Verhalten in der Personalauswahl – Wie Bewerber versuchen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 61, 3-17.

Kanning, U. P. (2018a). Diagnostik für Führungspositionen. Göttingen: Hogrefe.

Kanning, U. P. (2018b). Digitalisierung in der Eignungsdiagnostik. Report Psychologie, 10, 398-405.

Kanning, U. P., Budde, L. & Hülskötter, M. (2018). Wie valide ist die regelkonforme Gestaltung von Bewerbungsunterlagen? PERSONALquaterly, 4, 38-45.

Aufmacherbild / Quelle / Lizenz
Bild von Aleksandar Cvetanović auf Pixabay

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