„Jeder Lernende ist ein Wissensquell“

Neural Jam ist eine neue Wissensaustausch- und Collaboration-Plattform, in der Lernende auch gleichzeitig Lehrende sein können. Sie fasst verschiedene Konzepte der Interaktion zusammen. Wir sprachen mit Jamshid Alamuti, Gründer und CEO von Neural Jam, über den aktuellen Stand seiner Plattform und wie die Weiterentwicklung seiner Lösung aussieht.

Was fehlte im bisherigen Bildungsbereich, das die Gründung von Neural Jam notwendig machte?
Üblicherweise ist Bildung meist hierarchisch und vertikal aufgebaut. Das bestimmende Schema ist dabei immer folgendes: auf der einen Seite der Lehrende, auf der anderen Seite die Lernenden. Auch die Inhalte sind häufig auf diesem Konzept aufgebaut – das ist zwar fundiert, aber auch ein wenig veraltet. Denn es fehlt eine aus unserer Sicht sehr wichtige Komponente: die Praktikabilität oder auch „hands on experience“. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass man am besten lernt, wenn man selbst Inhalte an Andere weitergibt. Genau dafür bietet Neural Jam eine interaktive Umgebung – einen Raum für das Lernen durch Austausch. Wir zelebrieren und belohnen sozusagen jeden noch so kleinen inhaltlichen Beitrag.

Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz von bisherigen E-Learning-Angeboten oder auch vom bestehenden Online-Universitäten-System?
Natürlich finden sich auch in herkömmlichen E-Learning-Angeboten Interessensgruppen, in denen sich Teilnehmer untereinander austauschen oder es werden Webinare, Online-Wissensbibliotheken oder ähnliches angeboten. Davon unterscheidet sich Neural Jam allerdings komplett: Wir sind keine E-Learning- Plattform. Es werden bei uns keine Themen im klassischen Sinne gelehrt oder unterrichtet. Die Neural Jam Inhalte sollen unsere Club-Mitglieder lediglich animieren und inspirieren – und das ist der Hauptunterschied: Der Wert der Neural Jam Community liegt in den Mitgliedern selbst. In unserem digitalen Club gibt es keine Lehrer oder Studenten – bei uns ist jedes Mitglied selbst eine Ressource für Wissen, das mit den anderen Mitgliedern geteilt wird. Und ganz wichtig, das ist überhaupt der entscheidende Unterschied: Neural Jam unterstützt Individuen dabei, eine unternehmerische Perspektive einzunehmen, selbst zum Unternehmer und Problemlöser zu werden. Wir wollen Pionieren helfen ihresgleichen zu finden und gemeinsame Wege zu gehen.

Jamshid Alamuti erläutert unseren Lesern das Konzept von Neural Jam

Sie bezeichnen sich als digitaler Club – was hat es damit genau auf sich? Was bieten Sie über das reine Wissens-/Lernangebot hinaus?
Mittel- und langfristig ist die Idee, die hinter Neural Jam steckt, sich gemeinsam um die Lösung von relevanten und größeren Herausforderungen unserer Gesellschaft zu bemühen. Denn häufig fehlt es an – nennen wir es einfach mal „Masse“”, an genügend Gehirnen, um ein Problem zu lösen, oder zumindest die richtigen Fragen zu analysieren und zu beantworten. Im Neural Jam Club beschäftigen wir uns gemeinsam mit unseren Mitgliedern und ihren diversen Hintergründen mit wichtigsten Herausforderungen aus Wirtschaft und Gesellschaft. Dafür nutzen wir neue Formate, z. B. Hackathons oder ähnliches, um durch intensive Diskussion und Auseinandersetzung neue Lösungsansätzen ins Leben zu rufen.

Warum ist die Community für das Neural Jam Konzept so wichtig?
Der Hauptbestandteil hinter der Neural Jam Idee ist der Community-Gedanke. Seitdem ich denken kann, habe ich immer dafür gesorgt, interessante und interessierte Leute zusammenzubringen und ein Gefühl für Zusammengehörigkeit zu schaffen, unabhängig davon, ob es sich um Gruppen mit 10 oder 800 Menschen handelte. Ich bin überzeugt davon, dass wir als Menschen in gemeinsamer Kraftanstrengung Größeres bewirken können. Bisher habe ich dieses Konzept meist für Großunternehmen umgesetzt. Mit Neural Jam soll dies jetzt für eine noch viel größere Menge an Talenten grenzenlos und kulturübergreifend stattfinden. Dafür ist unsere Neural Jam Plattform letztlich nur ein Werkzeug und nichts weiter. Die Umsetzung der Idee, gemeinsam neue Lösungsansätze für die großen gesellschaftlichen und politischen Fragen zu finden und gleichzeitig auch Talente für die praktische Umsetzung solcher Lösungsansätze zu inspirieren – diese Entwicklung ist nur möglich, wenn die Community dieses Werkzeug nutzt.“

Was ist die Besonderheit am Verhältnis der Lehrenden und Lernenden bei Neural Jam – gerade vor dem Hintergrund, dass jeder Lernende, wie Sie sagen, auch gleichzeitig zum Wissensquell wird?
Wie gesagt, die klassisch Lehrenden gibt es bei uns nicht. Was es gibt, sind so genannte „Enablers“, also TüröffnerInnen, GastgeberInnen – im weitesten Sinne vielleicht sogar AnimateurInnen, oder welcher andere Titel hier auch passen würde. Aber es handelt sich trotzdem immer um einen kollaborativen Lernprozess. Alle Themen werden gemeinschaftlich erarbeitet, diskutiert und miteinander “erlernt“. Jeder Input von Enabler-Seite sind lediglich Impulse, die in die Community eingespeist werden. Erst dann beginnt der eigentliche Prozess, in dem Enabler selbst wieder zu Lernenden werden. Das meinen wir auch mit lebenslangem Lernen: Selbst ein sehr versierter Enabler wird in der Neural Jam Community zu jemandem, der sich auf andere Ansätze einlassen muss. Er kann seine Erfahrung einbringen, um den kollaborativen Lernprozess zu inspirieren, aber er ist immer auch selbst Lernender.

Gibt es wie bei anderen Plattformen ein klassisches Matching für Leute mit gemeinsamen Interessen?
Die aktuelle Version (MVP1) nutzt momentan noch keine KI, auch wenn wir das Plattform-Konzept technologisch schon relativ weit ausgearbeitet haben. Trotzdem wollen wir es vermeiden, die Privatsphäre unserer Mitglieder anzutasten. Ein Matching werden wir daher nur dann einführen, wenn unsere Mitglieder aktiv darauf bestehen.

Wie evaluieren die Algorithmen die Interessen und Gemeinsamkeiten? Oder was liegt den Algorithmen zugrunde?
Statt Matching nach üblichem Standard haben wir uns etwas anderes einfallen lassen: Unsere Plattform bietet eine Art Marketplace für Wissensthemen. Wir bringen Leute also nicht auf der Basis von Algorithmen zusammen, sondern unsere Mitglieder können ihre persönlichen Interessen auf einem virtuellen Schwarzen Brett posten bzw. Gruppen mit Themen, die sie interessieren, selbst aufsetzen. Andere Mitglieder können dann auswählen, an welchen Gruppen sie sich beteiligen möchten. Sollten wir mit Zustimmung der Mitglieder künftig auch Informationen zum Nutzungsverhalten evaluieren, können wir natürlich auch Empfehlungen aussprechen. Aber was man häufig vergisst: Algorithmen, die das Empfehlungen auf Basis des eigenen Nutzungsverhalten analysieren, können natürlich auch begrenzen. Manchmal liegt das Überraschende ja gerade darin, etwas ganz anderes als das, was man kennt und schon ‚nutzt‘ zu entdecken.

Wie motiviert Neural Jam, dass sich Mitglieder, Lernende und Lehrende vernetzen – gibt es z. B. Moderatoren für Unterthemen? Oder wie motiviert Neural Jam die Interaktion auf der Plattform, wenn dieser Austausch, das Sharen von Wissen im Mittelpunkt stehen?
Das ist sicherlich eine Schlüsselfrage für die Neural Jam Community und sehr wichtig. Auf der einen Seite gibt es wie erwähnt die Enablers, die in ihrer Funktion als Moderatoren, Mentoren oder Thought Leaders, die Mitglieder animieren. Viel wichtiger ist aber die Bereitschaft der Mitglieder selbst. Deshalb vergeben wir eine Mitgliedschaft auch nur auf Bewerbung. Wer bei Neural Jam Mitglied werden möchte, muss es wirklich wollen und sich bewusst sein, dass der aktive eigene Beitrag jedes Einzelnen das Fundament von Neural Jam bildet. Neural Jam ist keine übliche Plattform, die sich einfach passiv konsumieren lässt. Wenn Sie so wollen, legen wir tatsächlich Wert auf eine Exklusivität – eine Exklusivität, die alle willkommen heißt, die a) wirklich bereit sind, ihre Wissensressourcen, ihr Denken mit anderen zu teilen und die b) verstehen, und dies auch verinnerlichen, dass sie gemeinsam mit anderen, viel größer denken, handeln können als allein. Diese Motivation ist es, die eine Mitgliedschaft in der Neural Jam Community möglich macht. Bewerben kann sich übrigens jeder – wir vergeben jedes Jahr auch eine begrenzte Zahl an Stipendien.

Weitere Informationen unter:
https://www.neuraljam.com/


Bildquelle / Lizenz Aufmacher: Photo by Robert Bye on Unsplash


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