„Innovationen setzen eine gelebte Fehlerkultur voraus“

Interview mit Kai Grunwitz, Geschäftsführer der NTT Ltd.

Herr Grunwitz, welche Erkenntnisse beziehungsweise Lehren haben Sie für Ihr Unternehmen aus den vergangenen Monaten gezogen?

Die Corona-Pandemie hat die Geschäfts- und Arbeitswelt auf den Kopf gestellt: Die Digitale Transformation hat eine Geschwindigkeit erreicht, die vor Covid-19 unvorstellbar war. So wurden Mitarbeiter quasi über Nacht ins Homeoffice geschickt, Geschäftsreisen und Kundenveranstaltungen virtualisiert und die Service-Erbringung wo immer möglich auf Remote-Dienstleistungen umgestellt.

Inzwischen hat sich die Situation zwar entspannt, die Stressfaktoren für die Mitarbeiter allerdings nicht – im Gegenteil: Viele sind erschöpft von der Flut an Video-Konferenzen und Online-Events. Wird keine deutliche Trennlinie zwischen Beruf und Privatleben gezogen, nimmt die Gefahr eines Burnouts rapide zu. Andere Mitarbeiter vereinsamen, weil ihnen die spontane Kommunikation an der Kaffeemaschine fehlt. Unternehmen und allen voran die Führungskräfte müssen diese Belastung für ihre Mitarbeiter ernst nehmen und gegensteuern. Das bedeutet Coachen und gleichzeitig Grenzen aufzeigen.

Sie arbeiten bereits sehr global und digital, sind als Unternehmen in den unterschiedlichsten „Kulturkreisen“ verankert. Wie haben Sie es geschafft, ein gemeinsames Mindset zu entwickeln?

Die NTT-Gruppe ist in über 50 Ländern weltweit vertreten, in Deutschland arbeiten Menschen aus mehr als 20 Nationen zusammen – es treffen also unterschiedlichste Kulturkreise und Weltanschauungen aufeinander. Jede Kultur hat dabei ihren eigenen Werte-Kanon, der natürlich respektiert werden muss. Darüber steht aber bei einer global operierenden Organisation wie NTT grundsätzlich die gemeinsam definierte und gelebte Unternehmenskultur. Kulturelle Unvereinbarkeiten müssen zugunsten dieser Leitlinie zurücktreten.

Was heißt das? Eine ungleiche Behandlung oder sogar Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse, Religionszugehörigkeit, körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung wird nicht toleriert. Das schließt einerseits einen respektvollen Umgang miteinander und andererseits die Bereitschaft und Offenheit, von anderen zu lernen, ein. Der Rahmen dafür ist eine offene Unternehmenskultur, die von Vertrauen geprägt ist. Eine solche Kultur ist nichts, was per Definition dem Unternehmen auferlegt werden kann. Vielmehr müssen die Kernwerte vom Management vorgelebt werden.


„Innovationen verlangen auch eine gelebte Fehlerkultur: Werden Fehler und Rückschläge als selbstverständlich akzeptiert, können die Mitarbeiter Neues ausprobieren, daraus lernen und die Erfahrungen mit anderen teilen.“


Die Innovationsgeschwindigkeit insbesondere bei IT nimmt zu. Welchen Rat geben Sie Unternehmen mit auf den Weg? Und wie schaffen Sie es selbst „auf Kurs zu bleiben“?

Unternehmen müssen bestehende Ansätze kritisch hinterfragen und der gestiegenen Adaptionsgeschwindigkeit mit innovativen Lösungen begegnen. Innovation darf aber nicht als Selbstzweck verstanden werden – die Verantwortlichen müssen sich überlegen, welches Ziel sie verfolgen und welcher Ansatz die eigene Organisation nachhaltig für die Zukunft aufstellt. Es hilft grundsätzlich nichts, analoge Business-Modelle einfach unverändert in die digitale Welt zu übertragen. Ein schlechter analoger Prozess wird auch digital nicht besser.

Gleichzeitig sollte man neue Innovationsvorhaben lieber Schritt für Schritt umsetzen, anstatt in zu groß dimensionierten Projekten irgendwann die Kontrolle zu verlieren. Dann droht nämlich die Gefahr, dass die Adaptionsmöglichkeiten eines Unternehmens nicht mit den technologischen Möglichkeiten Schritt halten. Sinnvoll ist zudem, die eigenen Mitarbeiter mit ihren Ideen zu Wort kommen zu lassen und das Feedback von Kunden heranzuziehen. Deshalb verlangen Innovationen auch eine gelebte Fehlerkultur: Werden Fehler und Rückschläge als selbstverständlich akzeptiert, können die Mitarbeiter Neues ausprobieren, daraus lernen und die Erfahrungen mit anderen teilen. So kommt jeder Einzelne und das Unternehmen als Ganzes voran.

Für NTT ist Innovation Teil der DNA: Wir hören unseren Mitarbeitern, Kunden und der Gesellschaft zu, versuchen Antworten auf Herausforderungen zu finden, diese in innovative Lösungen umzuwandeln und sie wieder zurückzuspielen, sodass ein kontinuierlicher Kreislauf entsteht. Dafür steht unser Inifinite-Loop-Logo: Die kleine Schleife symbolisiert, dass Mitarbeiter, Kunden und Gesellschaft stets im Mittelpunkt unseres Handelns stehen. Die äußere Endlosschleife repräsentiert unser Engagement für kontinuierliche Innovation und die Schaffung von echten Mehrwerten.

Wenn sich eines in den letzten Monaten gezeigt hat, dann, dass mindestens einer großer Teil der Gesellschaft für mehr „Digitalität“ bereit ist. Wie lässt sich das Momentum nutzen und auch insgesamt als Gesellschaft gewinnen?

Digitalisierung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, denn sie hilft, Dienstleistungen und Prozesse einfacher, nachhaltiger und umweltfreundlicher zu gestalten. Digitale Bürgerservices und Telemedizin sind ein gutes Beispiel: Sie ersparen den Menschen unnötige Wartezeiten, unterstützen gerade in strukturschwachen Regionen die Versorgung und haben in der Pandemie dazu beigetragen, Kontakte zu vermeiden.

Im Mittelpunkt aller Bestrebungen muss allerdings immer die gesellschaftliche Teilhabe stehen, ansonsten droht eine Spaltung zwischen digital-affinen und weniger digital-affinen Bevölkerungsteilen. Es ist paradox – die Gefahr, dass die bereits existierende Schere in puncto Digitalisierung breiter wird, wächst ausgerechnet mit dem Einzug der Technologie, die eigentlich alle verbinden soll. Kindern an Schulen beispielsweise, denen digitale Geräte und Angebote nicht zur Verfügung standen, hatten beim Homeschooling eher schlechte Karten.

Um das Momentum, das Corona geschaffen hat, voranzutreiben, müssen wir Lösungen realisieren, die für die Gesellschaft einen echten Mehrwert bieten. Das sind etwa digitale Bürgerservices, ein flächendeckendes WLAN oder Mobilitätskonzepte, die den öffentlichen Personennahverkehr und Elektrofahrzeuge sinnvoll einschließen. Hinzu kommt der verantwortungsvolle Umgang mit den dabei erhobenen Daten, denn die Bedenken der Bürger in Bezug auf Datenschutz müssen ernst genommen und konsequent berücksichtigt werden.

Was wünschen Sie sich für die kommenden Monate?

Eine Rückkehr zu mehr Normalität, wobei die Gesundheit der Mitarbeiter oberste Priorität hat. Gleichzeitig hoffe ich, dass die Wachstums-Prognosen, die wir im Moment sehen, zu einer kontinuierlichen Belebung des Marktes führen und ins Stocken geratene Lieferketten für bestimmte Warenflüsse – wie zum Beispiel der aktuelle Halbleiter-Engpass – endlich wieder funktionieren, damit es nicht länger zu Verzögerungen bei Projekten und zu ernsthaften Problemen in der Produktion von Unternehmen kommt. 

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