Inklusives Design: Der Weg ist das Ziel

Dies ist ein Gastbeitrag von Birgit Maier, Expertin für Digital Product Design und Experience Architecture bei der Strategieagentur und Designberatung diffferent

Es braucht nur einen gebrochenen Arm oder eine kaputte Brille, um kurzzeitig ähnliche Einschränkungen zu erfahren, wie sie Menschen mit Behinderung dauerhaft begegnen.
Inklusives Design setzt genau hier an und behebt Situationen, in denen Ausgrenzung stattfindet.

Inklusion ist gerade hip. DAX-VorständInnen haben das Thema genauso für sich entdeckt wie Markenverantwortliche. Speziell in Hinblick auf Geschlecht, Ethnie und sexuelle Orientierung wird Diversität gefeiert und zum elementaren Markenwert von Unternehmen erhoben. Mit der aktuellen Frühjahrskampagne „Here to stay“ setzt beispielsweise Zalando in diesem Bereich Akzente.

Bei Zalando stehen hinter der Kampagne ernstzunehmende Anstrengungen hin zu einer inklusiveren Produktgestaltung. Bei vielen anderen Firmen bleibt Inklusion momentan aber vor allem eins: ein Kommunikationsziel. Dabei bieten wirklich inklusiv gestaltete Produkte viel größere Chancen als rein inklusive Kommunikation: Sie leisten einen elementaren Beitrag dazu, die Diversität unserer Gesellschaft abzubilden.

In einer idealen Welt würde Inklusives Design allen Menschen für alle Produkte eine vergleichbare Nutzungserfahrung ermöglichen. Auf dem Weg dorthin hilft es, einige Grundprinzipien Inklusiven Designs zu kennen.

Einladung statt Zugang

Inklusives Design wirft einen holistischen Blick auf die menschliche Diversität und bezieht diese in die Entwicklung von Produkten und Services mit ein. Das beinhaltet Sprache, Geschlecht, Kultur, körperliche Voraussetzungen wie auch andere Aspekte unserer Identität.

Dabei geht Inklusives Design über reine Barrierefreiheit hinaus. Denken Sie beispielsweise an den digitalen Raum. Bietet eine Website die Möglichkeit, mit der Tastatur in einem Formular zu den verschiedenen Gender-Angaben zu navigieren, ist das ein Element der Barrierefreiheit. Kann man darüber hinaus das für sich passende Personalpronomen auswählen, wird es inklusiv.

Nutzungssituationen statt Nutzungstypen

Es braucht nur einen gebrochenen Arm oder eine kaputte Brille, um kurzzeitig ähnliche Einschränkungen zu erfahren, wie sie Menschen mit Behinderung dauerhaft begegnen, führt Birgit Maier aus.

Inklusives Design kennt keine typischen NutzerInnen. Es wird vielmehr in Nutzungssituationen gedacht. Statt zu fragen, was ein Produkt für einen bestimmten Personenkreis leisten muss, wird gefragt, welche Aufgabe es in einer bestimmten Situation erfüllen muss. Das ist ein wichtiger Unterschied. Denn wir können alle – zumindest zeitweise – durch aktuelle Umstände von der Nutzung bestimmter Produkte oder Services ausgeschlossen sein.

Es braucht zum Beispiel nur einen gebrochenen Arm, eine kaputte Brille oder eine laute Umgebung, um kurzzeitig ähnliche Einschränkungen zu erfahren, wie sie Menschen mit Behinderung dauerhaft begegnen. Inklusives Design sucht aktiv nach Situationen, in denen Ausgrenzung stattfindet. Im Research wird darauf geachtet, ungewöhnliche Einsatzszenarien zu identifizieren und damit verbundene Produktanforderungen zu explorieren.

Prozess- statt Kommunikationsziel

Ziel von Inklusivem Design ist es, Menschen die Nutzung von Produkten und Services nicht nur zu ermöglichen, sondern sie auch einzuladen, das zu tun. Damit dies gelingen kann, muss Inklusives Design im gesamten Entwicklungsprozess von Produkten und Services mitgedacht werden. Dabei können Gender-Bias Workshops oder Diversity-Schulungenunterstützen. Sie helfen den TeilnehmerInnen zu verstehen, wie stark ihre Sicht der Dinge von den eigenen Erfahrungen und Lebenswelten geprägt ist. So wird inklusives Denken aktiv trainiert, kognitive Verzerrungen werden erkannt und abgebaut.

Um mögliche Fallstricke und exkludierende Momente im Designprozess möglichst früh aufzudecken und einzubeziehen, helfen diverse Sichtweisen. Deshalb braucht es diverse Projektteams in der Produktentwicklung, divers rekrutierte Research-TeilnehmerInnen und diverse TestnutzerInnen von Produktideen.

Wirtschaftsfaktor statt Altruismus

Unsere fragmentierte und komplexe Gesellschaft sollte sich in den Produkten spiegeln, die wir entwickeln. Durch die Anerkennung gesellschaftlicher Diversität in der Produktentwicklung leistet Inklusives Design einen wichtigen Beitrag und bietet Unternehmen einen Anker der Differenzierung. Wer es schafft, Produkte und Dienstleistungen konsequent inklusiv zu gestalten, erweitert nicht zuletzt auch seine (potenzielle) KundInnenbasis.

Durch den Aufbau diverser Produktentwicklungsteams wird ebenfalls die Innovationskraft von Unternehmen gestärkt. Differenzierte Perspektiven und eine größere Bandbreite an persönlichen Erfahrungen führen dazu, dass in Innovationsprozessen stärkere kreative Dynamiken entstehen als in sehr homogenen Teams.

Raul Krauthausen schreibt: „Inklusion ist kein Ziel, sondern ein Prozess […] zur Annahme & Bewältigung menschlicher Vielfalt.“ (Quelle) Dieser Prozess geht uns alle an. Und auch, wenn wir es nicht schaffen, jedes Produkt perfekt inklusiv zu gestalten, sollten wir uns doch zumindest weiter auf den Weg machen. Denn inklusiv gestaltete Produkte und Services können ein echter Gewinn für Unternehmen UND ihre KundInnen sein.