HR-Tools 4.0

Die Automatisierung schreitet voran. Mit neuen Apps und Tools hat die HR-Abteilung mehr Zeit, um zum strategischen Partner der Geschäftsführung zu werden.

Panta rhei, alles fließt, soll der griechische Philosoph Heraklit vor 2500 Jahren gesagt haben. Das gilt auch für die Arbeitswelt – Stichwort demografischer Wandel, Stichwort „War for Talents“, Stichwort Digitalisierung und Automatisierung, Stichwort kultureller Wandel und Individualisierung. Die Unternehmen werden in Zukunft insgesamt weniger Mitarbeiter haben, die Qualifikation der Mitarbeiter (nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Digitalisierung) wird höher sein, die Unternehmen werden stärker als bisher um diese Mitarbeiter konkurrieren, diese Mitarbeiter werden mehr „Arbeitsplatzsouveränität“ einfordern. Über das Ausmaß mancher Veränderungen sind sich die Fachleute uneinig: Während die amerikanischen Wissenschaftler Carl Frey und Michael Osborne in einer viel beachteten Studie eine drastische Verringerung von Jobs durch Digitalisierung und Automatisierung erwarten, gehen die Autoren der Boston Consulting Group von vielen neu entstehenden Jobs aus. Dieser Ansicht hat sich die Bundesregierung angeschlossen, die einen sogenannten „Fortschrittsdialog Arbeiten 4.0“ ins Leben gerufen hat. So sagte die zuständige Bundesministerin Andrea Nahles bei der Vorlage des Weißbuchs „Arbeiten 4.0“, das bestimmte Trends und Handlungsfelder der künftigen Arbeitsgesellschaft skizziert: „Die Digitalisierung bringt Chancen zur Produktivitätssteigerung.“

Andrea Nahles skizziert Trends und Handlungsfelder der Arbeit 4.0.

Andrea Nahles skizziert Trends und Handlungsfelder der Arbeit 4.0.

Durch die Digitalisierung ergeben sich einerseits neue Geschäftsmodelle, werden neue Firmen entstehen, andererseits werden sich die Unternehmensstrukturen und mit ihnen Arbeitsplätze verändern, teilweise im Wortsinne. Das hat Auswirkungen auf die HR-Abteilungen: Da HR-Management im Zuge eines „Kampfes um Talente“ immer stärker zu einem erfolgskritischen Faktor wird, steigt die Bedeutung der HR-Abteilungen in den Unternehmen. Sie werden zum strategischen Partner der Geschäftsführungen, die von diesen vor allem eine direkte Unterstützung bei strategischen und geschäftsbezogenen Personalthemen erwarten, welche nicht im Shared-Service-Center oder im Center of Expertise abgebildet werden können. Während durch die Digitalisierung der Zeitaufwand für die herkömmlichen Aufgaben des HR-Managements deutlich sinkt, muss die zur Verfügung stehende Zeit für zusätzliche Aufgaben genutzt werden, die infolge der künftigen Kompetenzfelder mit Einfluss auf das HR-Management entstehen. Es lassen sich vier Kompetenzfelder ausmachen: E-Recruiting, Employer-Branding, Learning & Development und Performance-Management: Beim Recruiting, das am ehesten herkömmlichen Aufgaben entspricht, geht es um eine erhöhte Geschwindigkeit und Effizienz bei der Anwerbung von Mitarbeitern. Im Zuge eines „War for Talents“ wird das Employer-Branding immer wichtiger, unter dem die Steigerung der Unternehmenswahrnehmung und der -marke zu verstehen ist.

Mehr Arbeits­platzsouveränität einfordern

Unter Learning & Development versteht man gesteigerte Lern- und Fortentwicklungsergebnisse, die in zweifacher Hinsicht bedeutsam sind – einmal für das Unternehmen selbst, das aus ihnen Nutzen zieht, zum zweiten für den Mitarbeiter, für den die Fortbildungsqualität ein Kriterium bei der Auswahl des Arbeitgebers ist. Hierbei werden zunehmend Serious Games eingesetzt, Applikationen im Sinne eines Berufsorientierungsspiels, bei denen der Nutzer in die Rolle eines Wirtschaftsprüfers, Verkäufers oder Verwaltungsfachmanns schlüpft. Das Perfor­mance-Ma­nage­ment beschreibt die Leistungserfassung in Echtzeit sowie eine exaktere Prognosenerstellung.

Verlagerung in die Cloud

Digitale Transformation:  Herausforderungen für die Arbeitsorganisationen der Zukunft

Digitale Transformation:
Herausforderungen für die Arbeitsorganisationen der Zukunft

Abgeleitet von „Arbeit 4.0“ könnte man hier also von „HR 4.0“ sprechen, bei dem allerdings ein flächendeckender Erfolg noch nicht zu verzeichnen ist. Das betrifft zum einen das Bewusstsein in manchen Unternehmensführungen, zum anderen auch dort, wo das Bewusstsein existiert, die konsequente Standardisierung und Automatisierung von HR-relevanten Geschäftsprozessen und die Schaffung einer neuen Unternehmenskultur durch Collaborationmöglichkeiten. Beispiel Cloud: Hierbei werden bestimmte Bereiche, allen voran standardisierte Geschäftsprozesse, in die Cloud verlagert, während sensible Daten wie Mitarbeiter- oder Bewerberdaten im Unternehmen verbleiben. Der große Vorteil von Cloudlösungen besteht darin, dass sie die Dezentralisierung des Arbeitsplatzes vorantreiben, sodass der Mitarbeiter seine Arbeiten von überall aus ausführen kann. Unter einer einheitlichen Nutzeroberfläche lassen sich Prozesse wie etwa Abrechnung, Zeiterfassung, Learning, E-Recruiting und Talent-Management erfassen. Dennoch bestehen Bedenken in vielen Firmen. Einer Studie zufolge nutzen bisher lediglich 17 Prozent der befragten Unternehmen Clouddienste wie etwa „Software as a Service“ und mehr als die Hälfte der Befragten gab ihre Bereitschaft zum Einsatz entsprechender Dienste mit „weniger hoch“ an. Hierbei spielen Bedenken beim Datenschutz eine Rolle. Bedenken, die Christoph Kull, Regional Vice President DACH des HR-Softwareanbieters Workday, für sein Unternehmen nicht gelten lässt. Workday bietet seine Software ausschließlich als Cloudlösung an und verzichtet auf Akquisitionen, um die Software kongruent zu halten: „Wir haben unsere eigenen Rechenzentren, alle Daten unserer europäischen Kunden sind ausschließlich in der EU. Unsere Kunden, darunter Unternehmen der Rüstungsindustrie und Banken, achten sehr genau darauf, ob wir die Regularien einhalten“, so Kull. Wenn eine Cloud „richtig gemacht“ werde, sei sie viel sicherer als jedes On-Premise-System, das in der Regel von Nicht-Experten gewartet werden müsse. Natürlich müssen Softwarehersteller und Plattformbetreiber die Aufklärung intensivieren, um die Akzeptanz für entsprechende Dienstleistungen zu steigern.

Videotelefonie als Brandinginstrument

Auch das Recruiting wird sich verändern. Telefoninterviews sind mittlerweile eine beliebtes Mittel zur Vorauswahl von Bewerbern. Außerdem werden digitale Einstellungsinterviews, Online-Assessment-Center und Videotelefonie genutzt, wie Studien des Jobportals Staufenbiel zeigen. So lag der Anteil von digitalen Assessment-Centern im vergangenen Jahr bei 13 Prozent, der von Skype und Videointerviews bei rund 16 Prozent, Tendenz steigend. Das liegt an der Kostenersparnis, die aufgrund verschlankter Prozesse verzeichnet werden kann. Doch auch aus Image- oder Brandinggründen empfiehlt sich der Einsatz von E-Recruting-Lösungen, wie James Campanini, Vizepräsident des Kommunikationsanbieters BlueJeans Network, betont: „Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel, der stark voranschreitenden Digitalisierung und der Generation Y müssen sich Unternehmen den Bedürfnissen der Arbeitnehmer anpassen.“ Nicht die Unternehmen entschieden über die Wahl des Arbeitnehmers, sondern der potentielle Arbeitnehmer entscheide. Campanini: „Unsere Studie LoveLive über die Nutzung und Einstellung gegenüber Live-Video von Arbeitnehmern in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA zeigt, dass 48 Prozent der deutschen Arbeitnehmer der Überzeugung sind, ein Arbeitsplatz ohne Live-Video ist für die Generation Y nicht attraktiv genug.“ Auch hier setzen Anbieter nicht selten auf cloudbasierte Lösungen, über die sich Teilnehmer per Desktop, Mobilgerät oder Raumsystem einwählen können.

Gesetzeskonformität garantiert

Der Mitarbeiter der Zukunft wird aber nicht nur stärker umworben werden; er wird sich auch stärker in die Firma „einbringen“ wollen. Er wird entscheiden, ob und in welcher Form er sich an bestehenden Unternehmensprojekten beteiligen will. Dazu werden spezielle Apps an Bedeutung gewinnen, die eine Realtime-Kommunikation mit anderen Projektbeteiligten ermöglichen und die Bildung agiler Projektteams fördern. Julia Janning, Gründerin von MVCon InnovationLab, beschreibt die Herausforderungen: „Das Aufbrechen starrer Schichtmodelle und bedarfsgerechtes Planen in Einsätzen führt allerdings zu mehr Flexibilität – auch für die Mitarbeiter. Die Etablierung kurzfristiger und digitalisierter Abstimmungsprozesse unterstützt flexibles Arbeiten zusätzlich und ermöglicht, alle Mitarbeiter im Bedarfsfall orts- und zeitunabhängig zu erreichen. Die Mitarbeiter können dann selber entscheiden, wie sie auf die Anfrage reagieren.“

Im Zeichen von HR 4.0 ist ein neues Bewusstsein gefordert.

Entscheidend in diesem Zusammenhang ist neben der Flexibilität und der Selbstorganisation die Gesetzeskonformität des Rahmens für „Arbeit 4.0“. Hier sieht ihre Kollegin Katrin Pape die Stärken der von MVCon InnovationLab entwickelten App Vote2Work: „Schnell können mal Ruhezeiten, die Arbeitszeit am Stück oder Zeitkonten verletzt werden. Kern unserer Lösung ist ein smartes Regelwerk, welches die verschiedenen Faktoren vor jeder Anfrage berücksichtigt. Damit werden nur Mitarbeiter vorgeschlagen, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.“

Alle Kanäle bündeln

Schließlich erfordert „Arbeit 4.0“ auch ein geregeltes Workplace-Management, sprich das Unternehmen wird seinen Mitarbeitern die größtmögliche Freiheit geben, um ortsunabhängig mit Unternehmensanwendungen zu arbeiten. Dies durchaus im Sinne der viel beschworenen Work-Life-Balance, die es erlauben soll, auch von zu Hause zu arbeiten. Hierbei muss es gleichgültig sein, ob der Mitarbeiter eigene oder firmeneigene Geräte benutzt. Alle Kanäle müssen gebündelt und der Zugriff auf Cloud-Umgebungen geregelt werden. Holger Fischer, Vertriebschef beim Softwarehersteller Ivanti, beschreibt die Herausforderungen auf dem Feld Workplace-Management folgendermaßen: „Wir von Ivanti haben es uns zur Aufgabe gemacht, diesen Digital Workspace, der in erster Linie von den agilen Anforderungen und Methoden der heutigen Arbeitswelt geprägt wird, hoch automatisiert und sicher bereitzustellen.“ Dies werde durch ein „umfangreiches und integriertes Lösungsportfolio erst möglich“. Als einer der führenden UEM-Hersteller unterstütze Ivanti nicht nur die Applikationsbereitstellung aller Plattformen und Gerätetypen, sondern setze „zusätzliche Schwerpunkte auf ITSM, Security- und Asset-Management inklusive Lizenz-Management.“

Möglichkeiten konsequent nutzen

Im Zeichen von „HR 4.0“ ist ein neues Bewusstsein gefordert, an der Unternehmensspitze, aber auch in den HR-Abteilungen. Eine auf Selbständigkeit, Kreativität und Agilität der Mitarbeiter setzende Unternehmenskultur kann aber nur erreicht werden, wenn auch die Möglichkeiten der Technologien konsequent genutzt werden.

von Dr. Ralf Magagnoli