Ein bisschen digitalisieren reicht nicht!

Die Pandemie leistet der Digitalisierung Vorschub. War das der Startschuss für eine Aufholjagd gegen die internationale Konkurrenz? Trendreport sprach mit VMware-Chef Armin Müller über den aktuellen Stand der digitalen Transformation in Deutschland.

Armin Müller, Vice President & Country Manager Germany bei VMware

Herr Müller, wie steht es hierzulande um das Thema Digitalisierung?

Deutschland war schon vor der Pandemie im weltweiten Vergleich digital nicht besonders gut aufgestellt. Enttäuschend ist aber, dass die meisten Unternehmen den Erwartungen und Vorstellungen ihren Kunden selbst jetzt noch nicht gerecht werden wollen oder können. Und das, obwohl ganz offensichtlich ist, dass uns die Digitalisierung gerade vor noch größerem Schaden bewahrt. Denken Sie an die vielen Kommunikations- und Kollaborationslösungen in den Home Offices, die den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten.

Aber das reicht nicht?

Nein, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, aus der Not heraus geboren. Wir haben eine Umfrage unter 1.000 deutschen Konsumenten ins Leben gerufen. Das Ergebnis war ernüchternd. Nur 23 Prozent der befragten Verbraucher sind der Meinung, Unternehmen böten aktuell eine bessere digitale Erfahrung als vor der Pandemie. Anbietern ist es noch immer nicht gelungen, das Interesse von Kunden nachhaltig zu wecken. Das zieht sich im Übrigen durch fast alle Branchen in unserem Land.

Können Sie konkrete Anwendungsbeispiele nennen?

Im Einzelhandel stottert die Umstellung auf Kartenzahlung. Online-Nachverfolgungen von Lieferungen auf ihrem Weg vom Warenlager bis nach Hause sind Mangelware. Es fehlt an Apps, die den Bestellvorgang individualisiert auf die Bedürfnisse von Kunden zuschneiden. Schauen Sie sich Instagram an. Die Plattform hatte im Oktober vergangenen Jahres eine neue Shop-Funktion eingeführt. Sie ermöglicht es jetzt, Wunschlisten zu erstellen und sogar Einkäufe per Smartphone zu tätigen. Kunden sind solchen digitalen Technologien gegenüber durchweg aufgeschlossen. Rund 57 Prozent der Interviewten in unserer Erhebung haben sich dahingehend geäußert.

Oder nehmen Sie das Beispiel Digital Pay. Schon heute ist das Mobiltelefon für 21 Prozent der Verbraucher wichtiger als die Brieftasche. Bei den zwischen 18- und 24-Jährigen sind es sogar 42 Prozent. Apps werden zur neuen Bankfiliale. Die neue niederländische Bank Bunq will Fintech revolutionieren und bezeichnet sich selbst als „das Schweizer Taschenmesser des Geldes“. Sie bedient Markttrends wie Öko-Bewusstsein, stillt das Bedürfnis nach digitalen Socialising-Funktionen und nach Funktionen für das Tracking von Finanzen und erlaubt es, Ausgaben zu kategorisieren. Die wohl wichtigste Erkenntnis aber ist, dass mehr als ein Drittel der Konsumenten zu einem Konkurrenten wechseln würde, wenn das digitale Erlebnis nicht ihren Erwartungen entspricht. Das sollte ein Weckruf für Unternehmen sein.

Was geht da schief? Liegt es am fehlenden Engagement oder am fehlenden Know-how für die digitale Transformation?

Viele Unternehmen treffen den Nerv der Zeit nicht. Andere haben in den vergangenen zwölf Monaten mit viel Aktionismus versucht, das aufzuholen, was jahrelang nicht genügend Priorität erfahren hatte. Und trotzdem begeistern viele der digitalen Konzepte die Kunden (noch) nicht. Es reicht einfach nicht mehr aus, sporadisch digitale Verbesserungen vorzunehmen oder die Digitalisierung halbherzig anzupacken. Sie muss im Zentrum der Unternehmensstrategie stehen, um Kunden eine echte und umfassende digitale Erfahrung bieten zu können.

Dazu passt ein weiteres Resultat unserer Studie: Nur 29 Prozent der Befragten zeigen sich nachsichtig, wenn Testläufe für neue digitale Dienstleistungen schiefgehen. Das Interesse an digitalen Pionieren steigt. Verbraucher merken, ob ein Unternehmen vorangeht oder nur mitläuft. Marken laufen Gefahr, an Relevanz zu verlieren, während andere die Chance nutzen. Mehr als ein Drittel der Verbraucher sind bereit, ihre Markentreue aufzugeben und zu einem Wettbewerber zu wechseln, wenn ihr digitales Erlebnis nicht den Erwartungen entspricht und nur 21 Prozent würden loyal bleiben. Das sollte zu denken geben.

„Mehr als ein Drittel der Verbraucher sind bereit, ihre Markentreue aufzugeben und zu einem Wettbewerber zu wechseln, wenn ihr digitales Erlebnis nicht den Erwartungen entspricht.“

Amin Müller

Was genau fordern Kunden denn von Anbietern? Mit einem attraktiven Webauftritt dürfte es ja nicht erledigt sein, oder?

Nein, genau da liegt ein Hauptproblem. Viele Unternehmen verwechseln Digitalisierung mit hübschen Online-Auftritten. Die digitale Welt umfasst wesentlich mehr. Dazu gehört ein hohes Maß an Sicherheit und Datenschutz – ein besonders in Deutschland wichtiger Punkt. Hinzu kommen eine unkomplizierte Nutzung über sämtliche Geräte hinweg und schnelle Serviceleistungen. Aber auch Faktoren wie das Verhalten von Unternehmen gegenüber Mitarbeitern und der Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle. Fast ein Viertel der Befragten achtet auf diesen Punkt. Um den Forderungen der Verbraucher zu entsprechen benötigen Unternehmen eine digitale Grundlage, um Anwendungen überall bereitstellen zu können. Und eine Plattform, um neue Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) oder Machine Learning nutzen zu können.

Was erwarten Sie in Sachen Digitalisierung für die Zukunft?

Ich erhoffe mir, dass Unternehmen in Deutschland endlich aufwachen. Wir dürfen uns in Belangen der digitalen Transformation nicht abhängen lassen. In technologischer Hinsicht werden neue Innovationen das Leben für Verbraucher einfacher machen. Nehmen Sie das Beispiel Virtual Reality. Visuelle Darstellungen in Echtzeit und in einer in Computer-generierten, interaktiven virtuellen Umgebung bergen völlig neue Möglichkeiten der Interaktion. Konsumenten könnten sich beispielsweise im Laden per Virtual Reality darüber informieren, wie Produkte in ihrem Zuhause aussehen würden.

Ein abschließender Tipp für Anbieter?

2020 war das Jahr des digitalen Wandels. Viele Unternehmen haben noch Welpenschutz genossen. Es ist höchste Zeit, die passive Haltung hinter sich zu lassen und digitale Services so zu gestalten, dass sie den Erwartungen und Vorstellungen von Verbrauchern entsprechen. Es reicht nicht mehr aus, ein bisschen zu digitalisieren. Unternehmen müssen digital denken und digital handeln.

Unser Interviewpartner:

Armin Müller ist seit September 2018 Vice President & Country Manager Germany bei VMware. In dieser Position trägt er die Gesamtverantwortung für VMware in Deutschland sowie für die lokale Unternehmensstrategie. Ziel ist es, gemeinsam mit Technologiepartnern aus dem VMware-Ökosystem Kunden auf dem Weg der digitalen Transformation zu begleiten und mit Lösungen aus den Bereichen Rechenzentrum, Cloud, Mobility, Netzwerk und Security zu unterstützen.

https://www.vmware.com/de.html