Den digitalen Wandel vorleben

Jan Rodig beschreibt fünf Leitgedanken, denen sich Führungskräfte stellen sollten.
Die digitale Transformation bleibt für viele Unternehmen eine große Herausforderung, auch im Anlagen- und Maschinenbau, einer der deutschen Kern-Branchen. Eine Schlüsselrolle in diesem Prozess kommt den Führungskräften zu: Nur wenn sie es schaffen ihre Teams in diesen Change-Prozessen mitzunehmen, kann der erforderliche organisatorische Wandel gelingen. Denn das wird oft vergessen: Die Einführung neuer Technologien und Methoden ist ein vergleichsweise kleiner Schritt bei der digitalen Transformation. Die Mammutaufgabe sind der Kulturwandel und der oftmals grundlegende Umbau der Organisation – häufig verbunden mit massiven Unsicherheiten, Ängsten und Abwehrreaktionen in der Belegschaft. Dabei ist das Verhalten des Topmanagements entscheidend.
Die Digitalisierung hat den deutschen Maschinen- und Anlagenbau erfasst. Viele Unternehmen sind gerade dabei, ihre internen Prozesse zu digitalisieren, um effizienter zu werden. Und viele bieten bereits erste datenbasierte Services und Geschäftsmodelle an, um sich im Wettbewerb zu differenzieren und neue Erlösquellen zu erschließen. Was aber dabei oft übersehen wird: Die Digitalisierung verändert fast unmerklich, aber unvermeidlich, auch die eigene Arbeitsweise und die interne Kommunikation. Sie bringt ganze Hierarchien und das alte Machtgefüge ins Wanken. Vor allem CEOs und Geschäftsführer sollten sich dessen bewusst sein und sich selbst früh die richtigen Fragen stellen, um den weitreichenden Wandel im eigenen Unternehmen von Anfang an zu antizipieren und proaktiv mitzugestalten.
Im Kern geht es dabei darum, einen Kulturwandel des eigenen Unternehmens hin zu einer „digitalen DNA” zu erreichen. Wichtig: Schnell weg von der Buzzword-Ebene in die Umsetzung kommen. Sonst endet man im ebenso teuren wie wirkungslosen „Digitalisierungstheater“, statt Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen. Füllt man die „digitale DNA” jedoch konsequent mit Leben, schafft man sukzessive die drei essenziellen kulturellen Voraussetzungen für die digitale Transformation, die so vielen Unternehmen fehlen: datengetriebenes, kundenzentriertes und agiles Arbeiten. Konkret bedeutet das: Weg von Entscheidungen, die auf Hierarchien bzw. Bauchgefühl basieren und selten über das bekannte Terrain hinausweisen hin zu konsequent datenbasierter Entscheidungsfindung mit vielen klugen Tests. Weg von technologie- oder unternehmenszentrierten Strategien und Entwicklungen hin zu einem Ansatz, der die Schaffung eines echten Mehrwerts für die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Weg vom Wasserfall hin zur regelmäßigen Priorisierung der vielen Arbeitspakete und flexiblen Anpassung an neue Erkenntnisse. Wenn dieser Wandel auf Führungsebene konsequent gelebt und durch systemische Weiterentwicklungen (v.a. Organisationsstrukturen, Prozesse und Incentivierungssysteme) flankiert wird, stellt sich sukzessive ein Wandel der Unternehmenskultur ein. So können Unternehmen die nötige Resilienz entwickeln, um sich in einem Umfeld des ständigen Wandels zu behaupten.
Folgende fünf Fragen helfen Ihnen dabei herauszufinden, wo Sie als Unternehmensführung auf diesem Weg stehen:
Sind wir selbst bereit für den Wandel?
Unterziehen Sie die Unternehmensspitze einem Digital Readiness Check, also prüfen Sie, ob sie bereits über das nötige Mind-, Skill- und Toolset für den digitalen Wandel verfügt. Was ist bereits gut vorhanden, wo gibt es die kritischsten Lücken? Das hilft Ihnen, Ansatzpunkte sowohl für organisatorische als auch für individuelle Entwicklungspotenziale zu finden. Oder anders formuliert: Wenn Sie sich nicht verändern wollen, warum sollten das Ihre Mitarbeiter:innen dann eigentlich tun? Es geht dabei in erster Linie um Ihr Selbstverständnis als Führungspersönlichkeit: Sehen Sie sich als Treiber und Katalysator des Wandels?
Lebe ich den Wandel im Alltag vor?
Es mag abgedroschen klingen, aber: Kein Wort spricht so laut wie Taten. Bemühungen um einen digitalen Kulturwandel erschöpfen sich oft im bloßen Anbieten hybrider Arbeitsmodelle, dem Umzug in hippe Co-Working-Spaces oder der Einführung neuer Tools. Was oft übersehen wird: Es geht im Kern vor allem darum, schnell Entscheidungen dort zu treffen, wo die relevanten Daten für eine gute Entscheidungsfindung vorliegen – nah am Kunden, auf den unteren Ebenen der Hierarchie. Das tut richtig weh – nämlich all denjenigen im Top- und Mittelmanagement, die bisher diese Entscheidungen getroffen haben. Es braucht also den Willen, ehemals stark an der Unternehmensspitze konzentrierte Macht abzugeben und auf deutlich mehr Schultern innerhalb des Unternehmens zu verteilen. Gibt es hier eine Diskrepanz zwischen dem, was kommuniziert und dem, was vom Management vorgelebt wird, ist die Gefahr groß, dass die Belegschaft zynisch wird. Sind Sie bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen und authentisch für den Wandel innerhalb Ihres Unternehmens zu stehen?
Kommuniziere ich genug?
Nur wer die eigene Belegschaft von Anfang an mitnimmt und durch den Wandel begleitet, geht daraus gestärkt hervor. Erfahrungsgemäß sorgt die Ankündigung einer tiefgreifenden Transformation für viel Unruhe im Unternehmen. „Was wird aus meinem Job?“, „Wer trifft bald welche Entscheidungen?“ und „Wie arbeiten wir zukünftig zusammen?“ sind nur einige der Fragen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intensiv umtreiben. Solche Unsicherheiten führen oft zu starken Ängsten und Ablehnung gegenüber den Veränderungen bei einem Großteil der Belegschaft. Antizipieren Sie diesen Gegenwind und stellen Sie die Weichen richtig, um niemanden auf dem Weg zu verlieren. Sie sollten daher unbedingt von Beginn an immer wieder die Notwendigkeit, Ziele, Maßnahmen und Probleme erklären. Scheuen Sie sich nicht vor einer gewissen Überkommunikation, ganz im Gegenteil. Treten Sie dabei möglichst oft in den Dialog und horchen Sie in die Belegschaft hinein. Hören Sie zu, nehmen Sie die Sorgen und auf dem Weg garantiert auftretenden Probleme ernst und entwickeln Sie gemeinsam Lösungen. Wie gut können Sie zuhören?
Befähige ich die Mitarbeiter so, dass sie den Wandel auch gestalten können?
Bekanntlich liegt der Teufel im Detail und der Erfolg eines Projektes wird in der Umsetzung entschieden. Beim digitalen Kulturwandel gehört dazu u.a. die Kompetenzvermittlung im Bereich der digitalen Tools und neuen Arbeitsmethoden wie zum Beispiel Scrum. Weil nicht jeder im Unternehmen Veränderungen gleichermaßen offen gegenübersteht, ist das Ermuntern und Ermutigen gerade zu Beginn wichtig. Nehmen Sie Ihre Belegschaft durch das Aufzeigen des Potenzials in Form schneller erster Erfolge von Anfang an mit. Verstehen Sie sich in diesem Prozess als Dirigent, der in der richtigen Balance aus nötiger Führung und – in diesem Falle innovationsträchtigem – Empowerment dafür sorgt, dass jeder das Beste aus sich herausholen kann – der Star aber das Team als Ganzes ist. Und, last but not least, loben Sie und feiern Sie Erfolge gemeinsam – das sorgt für Motivation für die nächsten Schritte.
Bin ich konsequent?
Während es bei den anderen Fragen auch viel um Fingerspitzengefühl und Empathie geht, appelliert diese Frage in erster Linie an die Ratio und zwingt zur permanenten Selbstreflexion. Stelle ich Projekte ein, wenn die Daten nahelegen, dass sie nicht halten, was sie versprochen haben? Orientiere ich mich tatsächlich an den Bedürfnissen der Kunden, auch wenn mich das gegebenenfalls auf unbekannte Wege bringt? Suche ich die Kooperation mit Dritten? Stehe ich die üblichen Friktionen in der Umstellung von der traditionellen Arbeitsweise auf die neuen Leitlinien durch, ohne einzuknicken? Versuche ich nicht doch top-down Entscheidungen zu beeinflussen, bei denen die Daten eigentlich ein anderes Ergebnis nahelegen? Wie viel Schmerzen sind Sie bereit zu akzeptieren, um die Transformation des Unternehmens erfolgreich zu meistern?
Fazit: Selbstreflexion ist ein wesentlicher Teil erfolgreichen Change-Managements
Führungskräfte sind Gestalter des Wandels und Enabler für ihre Teams: Gerade bei so fundamentalen Veränderungen wie der digitalen Transformation sind die Soft Skills und die Persönlichkeit des Managements entscheidend für das Gelingen. Doch das wird vielen erst klar, wenn sie schon mittendrin stecken. Damit der Wandel gelingt, ist es wichtig, als CEO oder Geschäftsführer die eigene Haltung zu reflektieren, ehrlich mit sich selbst zu sein – und sich zu Beginn, aber auch im laufenden Prozess, immer wieder zu hinterfragen. Nur wer seine eigenen Defizite erkennt, sich bei Bedarf Unterstützung sucht und damit offen umgeht, kann seine Mitarbeiter überzeugen und auch die Skeptiker an Bord holen. Wem das gelingt, dem bietet die Digitalisierung die große Chance, als Unternehmen gestärkt aus diesem Prozess des Wandels hervorzugehen und künftigen Krisen und Veränderungen resilient entgegenzutreten.
Über den Autor
Seit mehr als 10 Jahren begleitet Jan Rodig als digitaler Vordenker Unternehmen bei der Konzeption und Umsetzung wirksamer Digitalstrategien und Transformationsprogramme. 2012 bis 2019 leitete er als CEO eine Digitalagentur, die als führender IoT-Dienstleister KMUs und Industrieunternehmen in die digitale Zukunft begleitet. 2020 stieg er als Partner bei Struktur Management Partner ein. Er verantwortet dort das Kompetenzfeld Digital Performance.
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