Besiegelt das Stechuhr-Urteil das Ende von New Work?

Dirk Schmachtenberg beschreibt die „Regulierungsbestrebungen“ im New Work-Bereich aus seiner Sicht.

Workation, Vertrauensarbeitszeit, Flexibilität – es scheint nur eine Richtung zu geben, in die sich die Arbeitswelt bewegt – jedenfalls wenn man durch seinen LinkedIn-Feed scrollt. Während auf Social-Media der New-Work-Hype ungebrochen scheint, stellen deutsche Bürokrat:innen fest: In Deutschland besteht eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Dabei verpflichtete das deutsche Arbeitszeitgesetz bislang nur zur Erfassung von Überstunden. Im September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht das Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs bestätigt. Dies wirkt wie das Ende von all dem, wofür New Work steht. Doch ist das wirklich so? Ja.

Die Stechuhr als Gegenläufer zu eigenverantwortlichem Arbeiten

Während New Work die Grundlage für eigenverantwortliches Arbeiten legt, steht die Stechuhr vor allem für eines: Kontrolle. Durch das Tracken der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit haben Arbeitgebende jederzeit im Überblick, wer wann wie lange gearbeitet hat. Den Arbeitnehmenden wird so wiederum bewusst die Möglichkeit genommen, selbständig über ihre eigenen Ressourcen zu verfügen und ihren Arbeitsalltag eigenverantwortlich einzuteilen. Dies steht konträr zu dem, was New Work erreichen möchte. 

Gleiches gilt auch für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden: Während bei New Work Arbeitnehmenden viel Vertrauen entgegengebracht wird, entsteht durch das Stechuhr-Urteil ein hierarchisches Verhältnis zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Arbeitgebende entwickeln sich durch das engmaschige Überwachen der Arbeitszeiten zu einer übergeordneten Kontrollinstanz, die, wenn notwendig, Druck auf die Arbeitnehmenden ausüben kann. Das Arbeitsklima leidet.


Dirk Schmachtenberg: „Solange Arbeitszeiten engmaschig getrackt und überwacht werden kann kein agiles, flexibles Arbeiten entstehen.“ Bildquelle / Lizenz: copyright PLAN D

Zu viel Kontrolle hemmt die Leistungsbereitschaft

Eine intrinsische Motivation sowie die notwendige Leistungsbereitschaft seitens der Arbeitnehmenden können unter dem Einfluss einer solchen Kontrollinstanz nicht in ausreichendem Maße entstehen. Ganz im Gegenteil: Sobald das Ableisten von Stunden in den Vordergrund und der Output der Arbeit in den Hintergrund rückt, ist eine freie und kreative Entfaltung nicht mehr möglich. Die Folge dessen: Die Qualität der Arbeit leidet und die Arbeitnehmenden sind vor allem damit beschäftigt, ihre Stunden bis zum Feierabend zu zählen.

Apropos Stunden zählen: In zahlreichen großen Unternehmen verwenden Mitarbeitende – dank Stechuhr –  ihre Kreativität nicht mehr nur auf ihre Arbeit, sondern immer häufiger auch auf Maßnahmen zur Stechuhroptimierung. In einem Kundenunternehmen führte dies beispielsweise dazu, dass motivierte Mitarbeitende ein inoffizielles Projekt gestartet haben, welches zum Ziel hatte, Laufwege so zu optimieren, dass die meiste Wegzeit auf die Arbeitszeit entfällt. Dies ist ein drastisches Beispiel dafür, wie Überregulierung falsche Anreize setzt und Leistungswille sowie Kreativität verschwendet werden, um gegen etwaige Regelungen vorzugehen. Flexibles, eigenverantwortliches und outputorientiertes Arbeiten im Sinne von New Work tritt hier durch die Auswirkungen des Stechuhr-Urteils immens in den Hintergrund.

Die Uhr für New Work bleibt stehen

Die Stechuhr und New Work ticken äußerst unterschiedlich. Wie unterschiedlich, zeigen die oben genannten Argumente: Während New Work der Inbegriff für eigenverantwortliches Arbeiten und flexible Arbeitszeiten ist, steht die Stechuhr für Kontrolle und Überwachung. Vor allem hinsichtlich der Ressourceneinteilung der Arbeitnehmenden hemmt die Stechuhr die für New Work so elementar wichtige Eigenverantwortung. Solange Arbeitszeiten engmaschig getrackt und überwacht werden, kann kein agiles, flexibles Arbeiten entstehen. Folglich bleibt dann die Uhr für New Work erst einmal stehen.


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Foto von Thomas Bormans auf Unsplash


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