2023: Das Murmeltier grüßt nicht mehr
Andrea Wörrlein ist Geschäftsführerin von VNC in Berlin und Verwaltungsrätin der VNC AG in Zug. Für uns wagt wagt sie eine Prognose für das kommende Jahr.
Wenn es um Prognosen geht, haben wir über Jahrzehnte hinweg die Wiederkehr des ewig Gleichen erlebt. Der Jahreswechsel 2022/2023 aber markiert einen Bruch. Das Ende des Murmeltier-Prinzips bedeutet vor allem eins: Wir müssen von bequemen, liebgewonnenen Haltungen und Gewissheiten Abschied nehmen.
Seit der Wiedervereinigung 1990 gingen die Prognosen für das nächste Jahr eigentlich immer nach oben. Selbst die Finanzkrise 2008 und die Corona-Folgen der letzten Jahre konnten den Wachstumsoptimismus nicht grundsätzlich bremsen. Pünktlich zu Weihnachten wiederholte sich das immer gleiche Motto im Jahresrhythmus: Das nächste Jahr bringt bessere Bedingungen, positive Veränderungen und mehr Sicherheit und Wohlstand für (fast) alle. Insofern erleben wir gerade einen Zeitenwechsel, denn die Prognosen für das Jahr 2023 könnten düsterer kaum ausfallen: Krieg in Europa, globale Energiekrise, instabile Lieferketten, Handelskonflikte und die galoppierende Inflation sorgen für eine neue, hochbrisante Mischung aus Unsicherheiten, Risiken und Gefahren. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Prosperität – und damit die Souveränität und Stabilität der europäischen Gemeinschaft.

Es ist zu hoffen, dass sich in dieser schwierigen Lage die europäischen Staaten wieder darauf besinnen, ihre ureigensten Interessen zu definieren und zumindest Teile ihrer Souveränität zurückzugewinnen, sprich Abhängigkeiten drastisch zu reduzieren. Auf digital-technologischer Ebene hätte Gaia-X so ein Projekt werden können, wurde aber kläglich in den Sand gesetzt und mutiert immer mehr zur totgeschwiegenen Lachnummer. Die Hand vor dem Mund als Signatur des Versagens, sozusagen. Aber für oberflächliches Amüsement ist die Sache viel zu ernst. Sowohl die europäische IT-Infrastruktur als auch die IT-Plattformen sind alles andere als souverän.
Ganz zu schweigen von der Applikationsebene, wo selbst Behörden und kritische Infrastrukturen nach wie vor auf US-amerikanische Anbieter setzen, die erst jüngst wieder von höchster zuständiger Stelle als prinzipiell unsicher und nicht DSGVO-konform abgewatscht wurden. Nimmt man es als gegeben, dass ohne souveräne IT weder staatliche Unabhängigkeit noch gesellschaftliche Prosperität möglich sind, dann besteht hier dringender Handlungsbedarf. Die IT-Trias von Infrastruktur, Plattformen und Applikationen muss in einem neuen Anlauf, ohne die Unterstützung“ von lediglich Eigeninteressen verfolgenden „Freunden“, auf eigene europäische Füße gestellt werden, mit Open Source als Garant für Transparenz, Interoperabilität und verlässliche Schranke gegen Abhängigkeiten. Dass dafür auch die notwendigen Ressourcen bereit stehen müssen – Stichwort Energiesicherheit – sollte sich von selbst verstehen: ohne Strom keine IT. Aber das ist wieder eine ganz andere Ebene.
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